Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
getötet.«
Fidelma starrte ihn verdutzt an.
»Woher willst du wissen, dass man ihn getötet hat? Wer hat dir das erzählt?«
Erst jetzt schien sich der Alte ihrer Anwesenheit bewusst zu werden, denn er wandte sich von dem Abt ab und ihr zu. »Er war mein eigener Sohn. Wie sollte ich da nicht wissen, dass man ihn getötet hat?«, erwiderte er. Weshalb man ihm eine solche Frage stellte, schien er nicht zu begreifen.
»Aber …« Fidelma kam nicht weiter.
Abt Nannid unterbrach sie und wies den armen Alten laut und unmissverständlich an: »Erzähl bitte der dálaigh , wann und wo dein Sohn, Bruder Lennán, getötet wurde.«
»Wie viele Jahre das her ist, weiß ich nicht so genau. Vielleicht vier. Aber es war in der Schlacht von Cnoc Áine, als die Eóghanacht die jungen Krieger der Uí Fidgente schlugen. Da wurde er getötet.«
Kapitel 8
Betroffen schwiegen alle. Dann flüsterte Fidelma Bruder Lugna zu: »Vielleicht sollte sich Bruder Ledbán erst einmal setzen und danach in aller Ruhe über seinen Sohn, Bruder Lennán, sprechen.«
»Danke, Lady«, murmelte der Stallmeister und schob seinem gebrechlichen Gehilfen einen Stuhl unter. »Erzähl uns zuerst etwas über dich selbst«, forderte ihn Fidelma behutsam auf, nachdem der Alte sich beruhigt hatte.
»Über mich selbst?«, fragte Bruder Ledbán verwundert zurück.
»Ich vermute, du warst nicht immer ein Klosterbruder.«
»Ach so, nein. Ich war Stallknecht bei einem Stammesführer auf seiner Festung am Ufer des Mháigh, südwärts von hier. Das waren glückliche Tage. Meine Frau und ich führten ein ungetrübtes Leben und zogen unsere Kinder auf im Schatten der Festung Dún Eochair Mháigh.«
»Wann bist du von dort fortgegangen und in die Abtei eingetreten?«
»Ziemlich bald nach dem Tod von meiner Frau.«
»Wann etwa war das?«
»Meine Frau starb an der Gelben Pest. Mein Sohn Lennán war schon in der Abtei, er hat hier die Heilkunde erlernt. Ich wollte nahe bei ihm sein, deshalb bin ich hierher gegangen. Es gab nichts mehr, was mich in der Nähe der Festung Dún Eochair Mháigh hielt.«
Abt Nannid nickte zustimmend. »Wir waren sehr froh, Bruder Ledbán in unsere Gemeinschaft aufnehmen zu können. In unseren Stallungen stehen gute Pferde. Bruder Lugnaist seit vielen Jahren unser Stallmeister, und Bruder Ledbán ist ihm immer tüchtig zur Hand gegangen. Er war ein zuverlässiger Arbeiter.«
»Ja, zuverlässig war ich, aber mit der Zeit wurde ich alt und unachtsam. Es gab zu viele Unfälle. Jetzt bin ich nur noch eine Last.«
»Unsinn!«, brummte Bruder Lugna und legte ihm seine kräftige Pranke beschwichtigend auf die Schulter. »Einen Unfall haben wir alle mal. Ich bin unlängst selbst von einem widerspenstigen Pferd gebissen worden.« Flüchtig zeigte er die Narbe auf seinem rechten Handgelenk.
»Wann ist dein Sohn Lennán in die Abtei eingetreten?«, fragte Fidelma weiter.
»Er ist mein ältestes Kind. Schon ein paar Jahre bevor seine Mutter starb, ist er hierhergekommen. Die grässliche Krankheit, bei der die Haut gelb wird und ein Fieber ausbricht, das keiner überlebt, hat sie dahingerafft.«
Die Gelbe Pest hatte viele Jahre in den fünf Königreichen von Éireann gewütet; auch geistliche Würdenträger und Fürsten blieben nicht verschont – selbst zwei Hochkönige fielen ihr zum Opfer.
»Erzähl weiter«, drängte ihn Fidelma.
»Nachdem seine Mutter gestorben war, mühte sich mein Sohn unaufhörlich, ein Heilmittel gegen die Seuche zu finden.«
»Er war ein vielversprechender Arzt geworden«, ergänzte Abt Nannid. »Doch dann kam der Tag, an dem unser Stammesfürst Eoganán das crois tara , das flammende Kreuz, über Land schickte, den Aufruf zu den Waffen, dem alle Clans und Sippen der Uí Fidgente Folge leisten mussten. Er hatte erklärt, wie ja bekannt, dass die Könige von Muman von Rechts wegen aus seiner Abstammungslinie, den Dál gCais, kommenmüssten, und deshalb zog er mit einem Heer gen Cashel, nachdem dein Bruder Colgú König geworden war.«
Gormán wurde unruhig und blickte zu Fidelma, doch die sagte nur ruhig: »So war das damals, ja, ob das alles gerechtfertigt war, ist eine andere Sache.«
»Rühren wir nicht daran«, stimmte der Abt ihr diplomatisch zu.
»Was geschah, als das Kriegsaufgebot die Abtei erreichte?«, wandte sich Fidelma wieder an den Alten.
»Mein Sohn schloss sich dem Heer des Stammesfürsten an.«
»Versteh das bitte richtig, Bruder Lennán ist als Arzt mitgegangen«, betonte der Abt, »nicht um
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