Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Platz für ein Bett und kaum für etwas anderes.
Der Alte lag ausgestreckt auf der Bettstatt. Er war noch nicht gewaschen und ins racholl, das Leichentuch, gewickelt worden. Sowie das geschehen war, würde der Verstorbene bis zur Mitternacht für die Totenwache aufgebahrt und, wie üblich, nachts zu Grabe getragen werden.
Bruder Cuineáin wartete an der Tür, während sich Eadulf über den Toten beugte und ihn abtastete.
»Er muss schon in der Nacht gestorben sein, die Leichenstarre ist bereits eingetreten«, stellte Eadulf fest und fragteden Verwalter: »Wann hat man den Arzt geholt, damit er den Leichnam untersucht?«
Der Verwalter überlegte: »Als es hell wurde. Ich wollte gerade zur Morgenandacht gehen, da lief mir Bruder Lugna entgegen und sagte, Bruder Ledbán wäre offenbar tot. Durch den Ohnmachtsanfall in Unruhe versetzt, hätte er noch vor der Morgendämmerung nach ihm geschaut. Wir haben dann den Arzt gerufen, und der hat den Tod festgestellt.«
»Wie hat der Verstorbene dagelegen?«, wollte Eadulf wissen.
»Was meinst du damit?«
»War der Tote irgendwie verkrampft? Bei einem Anfall kommt es doch vor, dass der Betroffene im Todeskampf die Glieder verrenkt. Oder hat er so entspannt dagelegen wie jetzt?«
»Er hat fast genauso gelegen wie jetzt. Ich frage mich, ob er überhaupt gespürt hat, dass er aus dem Leben scheidet? Wahrscheinlich ist er ganz friedlich eingeschlafen.«
»Schön für ihn.« Fidelma sah die verschlossene Miene ihres Mannes und stellte keine Fragen. »Dann hält uns hier nichts mehr.«
Bruder Cuineáin schien erleichtert aufzuatmen. »Gehen wir also zum Abt zurück«, schlug er vor.
Zu Fidelmas Verwunderung erwiderte Eadulf: »Wir haben noch nicht gefrühstückt. Vielleicht könnten wir erst ins Refektorium gehen und uns stärken. Bei dem langen Ritt, der vor uns liegt, müssen wir die Abtei noch vormittags verlassen.«
Die Gesichtszüge des Verwalters blieben gelöst, aber gleich setzte er eine ernste Miene auf. »Wie konnte ich das vergessen! Ich hätte euch die betrübliche Mitteilung nicht vor der Morgenmahlzeit machen dürfen. Sofort eile ich zum Abtund lasse ihn wissen, dass du der gleichen Ansicht bist wie unser Arzt und dass ihr schon bald aufbrechen wollt.« Er begleitete sie bis zum Refektorium und ließ sie allein.
Gormán schritt bereits unruhig auf und ab und war froh, sie heil und unbeschadet wiederzusehen.
»Ich hatte schon Angst, euch wäre etwas zugestoßen. Vergangene Nacht soll jemand gestorben sein, doch Genaueres weiß ich noch nicht.«
»Das ist auch geschehen«, erwiderte Fidelma grimmig. »Unser Hauptzeuge, der alte Bruder Ledbán, ist tot.« Sie drehte sich zu Eadulf um. »Warum hast du nichts gesagt, als der Verwalter behauptete, du wärst derselben Ansicht wie der Arzt, und das auch so dem Abt melden wollte? Ich hatte nicht den Eindruck, dass du mit dem, was bisher gemutmaßt wurde, einverstanden warst. Und wie kommst du darauf, dass wir die Abtei bald verlassen wollen?«
»Erstens bin ich wirklich der Meinung, wir müssten vor allem frühstücken. Zweitens kann ich nicht beweisen, wie der Alte zu Tode gekommen ist. Er starb in der Nacht, aber …«
»Aber?«, fuhr Fidelma ihn gereizt an.
»Da ist etwas, das ich nicht erklären kann. Ich habe Blut in den Augenwinkeln bemerkt, auch Blut in den Nasenlöchern. Möglicherweise hat jemand versucht, das wegzuwischen; man muss schon sehr genau hinschauen, um noch Spuren zu sehen. In den Mundwinkeln waren ebenfalls Blutströpfchen. Solche Symptome sind mir nicht neu.«
»Und was besagen die?«
»Blutungen dieser Art entstehen bei einem heftigen Krampfanfall. Wenn er den aber nicht hatte, ist er erstickt worden.«
»Das heißt, er könnte ermordet worden sein?«, fragte Gormán erschrocken.
»Die Schwierigkeit besteht darin, dass ich es nicht definitiv feststellen kann. Er kann ebenso gut einen Anfall gehabt haben.«
»Wäre sein Tod auf einen Anfall oder Blutsturz zurückzuführen, hätte man doch am Leichnam deutlichere Anzeichen sehen müssen«, überlegte Fidelma. »Er hätte nicht so ruhig dagelegen, wie es uns der Verwalter schilderte, als er und der Arzt hinzukamen.«
Eadulf war derselben Ansicht. »Wenn wir vom Mordverdacht ausgehen, muss jemand in der Abtei nicht gewollt haben, dass wir weiter mit ihm reden.«
»Er brach in dem Moment zusammen, als du den Namen Liamuin ausgesprochen hattest«, bekräftigte Gormán.
Eadulf schaute sich um. »Wir sollten lieber essen gehen und nicht
Weitere Kostenlose Bücher