Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Eadulf von Seaxmund’s Ham.«
Sie verließen Temnéns Gehöft und folgten dem Hauptweg. Der Sturm hatte sich völlig gelegt, und die auch über die kalte Jahreszeit im Land gebliebenen Vögel tschilpten lebhaft im Chor, gewissermaßen dankbar, dass alles vorüber war.
»Das war ein unendlich trauriger Mensch«, sagte Gormán, nachdem alle eine Weile geschwiegen hatten.
»Das Leben ist ein Jammertal«, erwiderte Eadulf. »Trotzdem, man darf sich nur für kurze Zeit der Trauer hingeben, das Leben geht weiter. Unser Freund scheint sich in seiner Trauer zu gefallen.«
»Du bist ungerecht, Eadulf«, tadelte ihn Fidelma. »Wir dürfen nicht vergessen, er hat Frau und Kind verloren.«
»Ich will den Verlust, den er erlitten hat, gar nicht geringschätzen. Bleibt nur zu hoffen, dass er bald zuversichtlicher in die Welt schaut, so wie du es ihm gewünscht hast.« Dann kam Eadulf auf die Frage zurück, die ihn schon länger beschäftigte. »Bruder Lugna war der Bruder von Lorcán und Torcán, das heißt, er war …«
»… auch ein Sohn des unbeweinten Fürsten Eoganán«, beendete Fidelma den Satz. »Er muss aber ein völlig anderer Charakter sein als sein Vater oder seine Brüder. Abt Nannid hat uns erzählt, er hat seine Familie verlassen, als er siebzehn war, und hat seitdem immer in den Ställen der Abtei gearbeitet. Woran man sieht, auch in ein und derselben Familie können die Menschen grundverschieden sein.«
»Wie dem auch sei, der alte Bruder Ledbán wurde erstickt. Ich habe mir überlegt …«
»Du hast lediglich spekuliert«, rügte sie ihn.
Zu einer Antwort kam er nicht, denn sie hielten vor einem Steinpfosten an. Es war ein hoher, aufrecht stehender Stein mit einem runden Loch.
»Wir kommen an eine Siedlung«, sagte Gormán und spähte besorgt in alle Richtungen.
»Richtig, das ist ein gallan , ein Grenzstein sozusagen«, erklärte Fidelma.
»Ein gallan ? Ich habe schon verschiedene Bezeichnungen für solche Abgrenzungspfosten gehört, doch dieses Wort noch nicht.«
»Der Name soll sich von den Galliern herleiten. Vor Urzeiten ist eine große Schar aus Gallien in unser Land gekommen, und die haben solche Steinsäulen errichtet, um ihr Gebiet abzustecken. Doch nun los, wir haben keine Zeit zu verlieren«, drängte Fidelma. »Wir müssen noch bei Tageslicht die Eichenfurt erreichen.«
Gormán aber hielt sie zurück. »Dreh dich nicht um, Lady«, zischelte er. »Ich glaube, wir werden beobachtet. Verhalte dich ganz ruhig, auch du, Bruder Eadulf.«
Fidelma beugte sich vor, tätschelte den Hals ihres Pferdes und flüsterte: »Hast du erkannt, wer es ist?«
»Ich hab schon eine Weile das Gefühl, man verfolgt uns, war mir aber nicht sicher, sonst hätte ich euch längst gewarnt. Das war von Anfang an so, als wir von Temnéns Hof ritten und der Wald links von uns dichter wurde. Ein paarmal hatte ich den Eindruck, da bewegt sich was zwischen den Bäumen.«
»Noch mal Straßenräuber? Wir sind doch schon ausgeraubt worden bis aufs Hemd«, knurrte Fidelma verärgert.
»Wenn das eine Räuberbande ist, hätten sie uns längstüberfallen. Hätte ich mir doch bloß ein anderes Schwert besorgen können.«
»Am besten, wir kümmern uns nicht um sie und reiten einfach weiter. So nahe an einer Siedlung werden sie uns nicht überfallen.«
Sie ritten an dem Grenzstein vorbei und trotteten langsam auf dem Hauptweg dahin. Die Straße verlief nun am Waldrand, so dass sie nach links keine freie Sicht hatten, und bog bald zum Fluss nach rechts ab. Plötzlich standen drei Reiter mitten auf dem Weg und zwangen sie, die Zügel anzuziehen. Einer von ihnen hielt ein im Wind flatterndes rotes Seidenbanner mit dem Zeichen des beutegierigen Wolfs. Das war das meirge oder Schlachtenbanner der Uí Fidgente.
»Lass dein Schwert in der Scheide, Krieger!«, befahl der Anführer, denn Gormán hatte aus Gewohnheit nach seiner freilich nicht vorhandenen Waffe gegriffen. »Sei nicht so töricht, dein Leben wegzuwerfen. Ein Pfeil ist auf dein Herz gerichtet.«
Und tatsächlich trat bei den Worten ein Bogenschütze aus dem Dickicht. Der fremde Krieger hatte nicht geblufft, denn der Schütze hatte den Bogen straff gespannt, und der eingelegte Pfeil zeigte genau auf Gormán. Sechs weitere berittene Krieger, die ihre Waffen locker in Händen hielten, versperrten den Weg.
Gormán unterdrückte einen Wutschrei und hob die Hände. »Ich bin ohne Waffen. Meine Scheide ist leer.«
Der Anführer, der den Befehl gegeben hatte, wollte ihm
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