Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Schrift!« Die Ungeduld des Abtes war nicht zu überhören.
»Einen Moment noch«, Pfeiffer hob die Hand, »natürlich sollt Ihr die Schrift sehen, denn es ist nicht recht, dass sie in unserem Besitz ist. Aber im Gegenzug wollen wir von Euch das Reisetagebuch unseres Vaters. Es ist vielleicht das Letzte, was uns von ihm bleibt.«
Jana war von Pfeiffers schauspielerischen Fähigkeiten beeindruckt. Hatte er Tränen in den Augen? Gebannt sah sie ihn an, doch auf ein nervöses Klopfen hin wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Abt zu. Der Mann trommelte mit langen, knochigen Fingern auf die Platte seines Schreibtischs.
»Wie sieht das Reisetagebuch Eures Vaters denn aus?«
Janas Herz klopfte so schnell, als wollte es ihr aus der Brust springen. Pfeiffer riskierte viel, aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Nun gab es kein Zurück mehr.
»Es ist ein einfaches, in Leder gebundenes Buch, das völlig unscheinbar aussieht. Ganz im Gegenteil zu dieser Schrift hier.«
Bevor der Abt ihm weitere unangenehme Fragen stellen konnte, griff Pfeiffer in seine Ledertasche und holte seine eigenen Pergamentbögen heraus.
Der Augenblick war perfekt gewählt, die Neugier des Abtes hätte nicht größer sein können. Gierig starrte er mit seinen schwarzen Augen auf das Bündel in Pfeiffers Hand.
Der Arzt suchte die besonders ansprechende Darstellung einer siebenköpfigen Pflanze, stand auf und legte das Pergament vorsichtig auf den Schreibtisch des Abts. Erwartungsvoll blickte er den dürren Mönch an.
Dieser sog lautstark die Luft ein und fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen, die nicht mehr als ein dünner, farbloser Strich waren.
»Incroyable« , flüsterte er in seiner Muttersprache. Jana nahm an, dass das ein Ausdruck der Begeisterung war, denn der Mann beugte sich gebannt über die Schrift. Im nächsten Moment zuckte er fast irritiert zurück, um sich aber sofort wieder hinein zu vertiefen. »Heilige Maria, Mutter Gottes!«, flüsterte er ehrfurchtsvoll, fasste einen Bogen und blätterte vorsichtig um. Ein Aufschrei des Entzückens entfuhr ihm. Der Junge konnte seine Neugier nicht mehr zügeln, trat lautlos näher und warf einen verstohlenen Blick auf den Text. Auch er sah verblüfft aus.
»Könnt Ihr die Schriftzeichen lesen?«, fragte der Abt.
Pfeiffer schüttelte bedauernd den Kopf: »Leider nein. Aber es scheint sich um geheimes Wissen zu handeln, das wegen seiner Brisanz verschlüsselt worden ist.«
»Ja, ja, ja«, murmelte der Abt nervös. »Das sehe ich.«
Er hob den Kopf und blickte den Jungen an. »Sebastian, lauf in die Bibliothek. Bruder André soll zu mir kommen. Rasch, es ist von großer Dringlichkeit. Er soll sich beeilen.«
Der Klosterschüler nickte und eilte davon, so geräuschlos wie zuvor.
»Es scheint tatsächlich ein Original zu sein«, sagte der Abt zu sich selbst. Nachdenklich stand er auf und ging zum Fenster. Dann drehte er sich langsam um und richtete seinen dürren Finger auf Pfeiffer.
»Ist das Manuskript vollständig?«, fragte er streng.
Auf dem Gesicht des Arztes breitete sich ein Lächeln aus.
»Es wäre wohl sehr unvorsichtig von uns, mit allen Pergamentbögen herumzuspazieren. Wie Ihr Euch denken könnt, liegt der Rest wohlbehütet an einem sicheren Ort. Wir wollten sichergehen, dass Ihr uns das Manuskript nicht einfach abnehmt. In diesem Gebäude leben viele Mönche, und meine Schwester und ich sind bloß zu zweit.« Er wandte sich Jana zu, und die erkannte am Blitzen seiner Augen, dass Pfeiffer an dem Spiel allmählich Gefallen fand.
Sie selbst hingegen saß noch immer auf dem winzigen Hocker und zitterte vor Aufregung, Angst und Kälte. Einen Augenblick lang erinnerte der Arzt sie an Ludwig und Antonio, die Schauspieler, wenn sie eine dramatische Szene spielten. Bloß waren die Stücke der Truppe bei weitem nicht so gefährlich gewesen.
»Und alles, was Ihr wollt, ist das Reisetagebuch Eures Vaters?« Die schwarzen Augen bohrten sich in Pfeiffers Gesicht.
»Nun, sagen wir, fast alles!«, erwiderte Pfeiffer.
Nun füllten sich die schwarzen Augen mit Hass und Abscheu. Die Miene des Abtes sah aus, als wäre der Arzt für ihn ein lästiges Ungeziefer, das man mit dem Daumen zerdrücken musste.
Pfeiffer ließ sich davon nicht beirren: »Wir müssen zurück nach Prag, aber unsere Geldbeutel sind leer, und eine Reise ist teuer.« Er sprach freundlich und zuvorkommend, was den Abt anscheinend noch weiter erzürnte.
»Ihr seid genauso verbrecherisch, wie es
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