Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
schlug sie auf und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ein Buch dieser Art wäre mir aufgefallen.« Er gab Pfeiffer beide Bücher zurück. Dann kratzte er seinen grauen Kopf und meinte nachdenklich: »Ich kann mich aber an ein Schreiben erinnern, das vor kurzem aus Rom gekommen ist. Es hat ein Buch … nein, falsch«, der Mönch verbesserte sich, »eine ›Lieferung‹ angekündigt. Ich habe wochenlang darauf gewartet, aber es ist nie etwas eingetroffen. Dafür kam ein zweiter Brief aus Rom, in dem stand, dass wir ein Buch, das es aber gar nicht gibt, in unsere Inventarliste eintragen sollten.«
Erstaunt schüttelte Pfeiffer den Kopf.
»Ich verstehe die Angelegenheit auch nicht ganz. Aber offensichtlich will man im Vatikan, dass Besucher der Bibliothek glauben, wir besäßen ein Buch, das wir gar nicht haben. Vielleicht hat die Sache etwas mit dem Reisetagebuch zu tun, nach dem Ihr sucht.«
»Aber wenn es nicht hier ist, wo könnte es sich dann befinden?«
Der runde Mönch zuckte mit den Schultern: »Vielleicht in Rom.«
»In Rom?«, fragte Jana leise. »Aber das ergibt doch keinen Sinn.«
Gerard lachte müde: »Ich bin seit über dreißig Jahren in diesem Kloster. Glaubt mir, die wenigsten Dinge, die hier passieren, sind durchschaubar. Mit den Jahren habe ich aufgehört, alles verstehen zu wollen. Seitdem lebe ich deutlich zufriedener. Ich genieße Louises gutes Essen, widme mich den schönen Büchern in unserer Bibliothek und freue mich über jeden Tag, den ich leben darf.«
Jana schob ihren leeren Teller zur Seite, sie war mehr als satt.
Pfeiffer fasste noch einmal zusammen: »Ihr sagt, dass ein Buch, das zuerst angekündigt wurde, nie ankam und dennoch inventarisiert wurde.«
»Genauso war es«, bestätigte Gerard.
»Warum glaubt Ihr, dass sich das Buch in Rom befindet?«
»Es ist bloß so eine Idee von mir«, sagte Gerard ehrlich. »Schließlich kamen die beiden Briefe aus Rom.«
»Aber wozu diente der erste Brief mit der Ankündigung, wenn man dann doch nichts verschickt hat?«
Gerard zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatte man zuerst vor, etwas zu senden, und hat es sich dann anders überlegt. Wie gesagt, oft passieren merkwürdige Dinge, die ich weder verstehen kann noch will.«
»Wer sollte denn so etwas tun?«, fragte Louise verwirrt.
Gerard tunkte den letzten Rest Olivenöl mit dem frischen Brot auf und steckte es in den Mund. Kauend sagte er: »Im Vatikan gehen Dinge vor sich, die wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Und ich kann Euch sagen, dass es fast immer um viel Geld und noch mehr Macht geht.«
»Wie lautet der Titel des Buchs, das Ihr inventarisieren solltet?«, fragte Pfeiffer.
»Ich weiß es nicht mehr. Aber wenn Ihr wollt, können wir gemeinsam nachsehen. Doch zuerst werde ich Abt Etienne Bescheid sagen, dass Sebastian zurück ist und zwei Gäste mitgebracht hat. Der Abt muss über das Geschehen im Kloster informiert werden, so verlangen es die Regeln unseres Ordens. Außerdem werde ich fragen, ob Ihr in unserem Gästehaus übernachten könnt. Das Gebäude steht seit Monaten leer, weil immer weniger Reisende bei uns Quartier erbitten.« Er machte eine kurze Pause und fügte bitter hinzu: »Was vielleicht daran liegen mag, dass die Gastfreundschaft unseres Abtes sich meist nur auf reiche Handelsreisende beschränkt.«
Als Gerard die Küche verlassen hatte, sollte Sebastian seiner Mutter von all seinen Erlebnissen in Dijon genauestens erzählen.
Der Junge begann nur widerwillig und zögernd.
»Wenn isch in die Schule nischt aufgepasst ’abe und die Abt Nicola davon erfuhr, ’at er gezwungen misch, eine ganse Nacht in die kalte Kirche auf Steinfußboden zu knien und zu beten. Er selbst ist gesessen auf eine weischgepolsterte Stuhl und ’at mir zugesehen, bis isch vor Müdigkeit umgefallen bin. Dann er ’at misch geschlagen mit seine Peitsche und misch ’at geswungen, noch einmal ’inzuknien.«
Jana schloss für einen Moment die Augen. Bis jetzt hatte Sebastian über seine Zeit in Dijon nicht viel erzählt, vielleicht aus Scham wegen der Demütigungen oder aus Angst, dass Doktor Pfeiffer ihm wieder nicht glauben würde. Nun konnte Jana von der Seite her sehen, dass sich auch das Gesicht des Arztes verdüsterte. Er wusste, dass Sebastian die Wahrheit sprach.
Kaum hatte Sebastian die erste Geschichte hinter sich gebracht, war der Damm gebrochen. All das Gemeine und Ungerechte, was man ihm in Dijon angetan hatte, sprudelte nur so aus ihm heraus.
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