Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
aufwecken.«
Erleichtert folgte der Bote dem Alten über den gepflasterten Hof. Er hatte seinen Teil der Aufgabe erfüllt, nun war es an anderen, sich zu fürchten. Plötzlich war ihm egal, ob der Abt ihm das Bestechungsgeld für den Nachtwächter zurückgab. Er fühlte sich leicht und beschwingt, während er hinter dem alten Mönch herging. Schon morgen früh würde er die Stadt wieder verlassen haben.
Kurz vor Bordeaux
B EREITS BEIM A UFSTEHEN KÜNDIGTE sich ein drückend heißer Sommertag an. Jana wusste, dass sie auch in ihrem neuen Sommerkleid schrecklich schwitzen würde. Am liebsten hätte sie sich die Röcke samt Oberteil vom Körper gerissen und wäre im Unterkleid weitergeritten. Sie beneidete den Arzt und Sebastian, die die Ärmel ihrer Hemden hochgekrempelt und viele der Knöpfe offen hatten.
Die Luft flimmerte, und in der Ferne sah Jana endloses sattes Dunkelblau, das am Horizont in einen anderen, helleren Blauton überging. Das musste das Meer sein. Staunend ließ sie Marie anhalten und blickte in die schier endlose Weite. Sie hatten wieder einmal einen kleinen Umweg genommen und waren ein Stück zu weit westlich gezogen, wodurch sie sich nun sehr nah an der Küste befanden. Doch die Landschaft war flach und die Straßen gut ausgebaut, so dass es zügig voranging.
Seit Stunden versicherte Doktor Pfeiffer, dass sie schon bald an die Garonne kämen und dem Fluss dann nur so lange landeinwärts zu folgen brauchten, bis sie Bordeaux erreichten.
»Seht Ihr das Meer zum ersten Mal?«, fragte Pfeiffer, der sein Pferd neben Marie gelenkt hatte.
»Ja, in der Nacht, als ich mit Euch durch das Svinska-brana-Tor geritten bin, habe ich meine Heimatstadt Prag zum ersten Mal verlassen«, sagte Jana leise. Prag lag bereits so weit hinter ihnen, dass es ihr schien, als wären seit ihrem Aufbruch Jahre vergangen. Und nun konnte sie den Blick von dem weiten Blau vor ihr nicht abwenden.
»Hier im Westen Frankreichs ist das Meer sehr rau und kalt. Im Süden hingegen gibt es Sandstrände, das Wasser ist warm und manche der Einheimischen schwimmen sogar darin.«
»Könnt Ihr schwimmen?«, fragte Jana.
Pfeiffer antwortete nicht sofort. Nach einer Pause meinte er: »Ich kann mich über Wasser halten.«
Die wenigsten Menschen konnten schwimmen. Deshalb war Jana über die Antwort nicht überrascht.
Sie selbst war eine gute Schwimmerin, sie hatte es sich selbst beigebracht. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte Tomek sie einmal in die Moldau gestoßen und ihr zugerufen: »Schwimm!« Jana hatte furchtbar viel Wasser geschluckt und wäre beinahe ertrunken. Im letzten Augenblick zog Tomek sie an den Haaren wieder heraus und ließ sich zu Hause von Radomila als großen Retter feiern.
An jenem Nachmittag hatte Jana sich geschworen, dass ihr das nie wieder passieren würde. Den ganzen Sommer über hatte sie jeden Tag geübt, bis sie so sicher war, dass sie in der Moldau auch dort schwimmen konnte, wo die Strömung stark und reißend war.
»Und wie steht es mit Euch?« Pfeiffer riss Jana mit seiner Gegenfrage aus ihren Erinnerungen.
»Wie ein Fisch im Wasser«, antwortete Jana und sah aus dem Augenwinkel, dass der Wissenschaftler sich nicht sicher war, ob er ihr glauben sollte.
»Da vorne die Garonne ist! Das ’eißt, es nischt mehr weit ist bis Bordeaux«, rief Sebastian begeistert. Der Junge konnte es kaum erwarten, seine Mutter wiederzusehen.
»Dann lasst uns keine Zeit verlieren.« Pfeiffer beschleunigte die Gangart seines Pferdes, und sie ritten zügig zum Fluss hinunter.
Der Weg führte nun durch eine sumpfige Landschaft. In der Hitze schwirrten Insekten und setzten sich auf die klebrige, verschwitzte Haut. Jana verscheuchte sie und schlug nach ihnen, aber es waren zu viele. Aus dem Unterholz drangen die Schreie von Enten und anderen Wasservögeln, im Hinterland flogen immer wieder Rebhühner auf. Der Ritt war beschwerlich, und Jana war froh, als schon nach wenigen Stunden die Stadtmauern von Bordeaux vor ihnen auftauchten.
Kurz darauf führten sie die Pferde durch die Porte Cailhau, ein wunderschönes Stadttor, das man im 15. Jahrhundert zu Ehren von Karl VIII. errichtet hatte. Dann ging es vorbei an der Kathedrale Saint André, deren Eingangsportal von zwei hohen, spitzen Türmen flankiert wurde. Etwas dahinter befand sich noch ein frei stehender Turm. Sebastian erklärte ihnen, dass der Turm »Pey-Berland« hieß und erst später in das Bauwerk eingefügt worden war.
Diesmal mussten sie nicht nach dem Weg
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