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Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Maly
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Es schien, als befreite er sich mit dem Erzählen von einer schweren Last.
    Louise saß fassungslos da. Schließlich nahm sie ihren Sohn in den Arm und streichelte ihm über das dichte Haar, so als könnte sie ihn auf diese Weise von all den schrecklichen Erinnerungen befreien. Sebastians langer Bericht bestätigte Jana in dem, was sie beim Betreten der Kammer des Abtes in Dijon gespürt hatte: Kälte, Strenge und keinerlei Menschlichkeit. Sie fragte sich, was den Mann so grausam gemacht hatte.
    Alle saßen noch bedrückt in der Küche und schwiegen, da kam Gerard abgehetzt und kurzatmig herein: »Abt Etienne will Euch beide sehen. Er wird mit Euch zu Abend essen und bittet Euch zur achten Stunde nach Mittag in seine persönlichen Gemächer.«
    Der dicke Mönch hob betont die Augenbrauen und meinte hinter vorgehaltener Hand: »Das macht er sonst nie. Entweder freut er sich, dass Sebastian wieder hier bei uns ist, oder er hat ein schlechtes Gewissen, weil er ihn weggeschickt hat.«
    »Ich würde sagen, dass er mehr als bloß ein schlechtes Gewissen haben sollte. Wenn er auch nur ansatzweise ahnen konnte, was den Jungen in Dijon erwartete, trägt er eine ordentliche Portion Mitschuld. Der Mann sollte sich ernsthaft Sorgen machen, ob er jemals ins Himmelreich aufgenommen wird«, sagte Pfeiffer düster.
    Der Mönch, der Sebastians Erzählung nicht gehört hatte, konnte mit der Bemerkung nichts anfangen. Er boxte den Jungen liebevoll in den Oberarm und zwinkerte ihm zu. »Ich freue mich auf alle Fälle riesig, dass du wieder da bist.«
    Sebastians Gesicht hellte sich auf.
    Zu Jana sagte der Mönch: »Ich bin davon überzeugt, dass der Abt sich nicht lumpen lässt und Euch ein vorzügliches Mahl servieren lassen wird.«
    »Schon wieder essen?«, stöhnte Jana und hielt sich den vollen Bauch.
    »Bis dahin habt Ihr bestimmt wieder Hunger«, meinte Pfeiffer und fügte düster hinzu: »Ich hoffe inständig, dass wir keine Schnecken essen müssen.« Er schüttelte verständnislos den Kopf und meinte, an Gerard gewandt: »Es ist gut, dass der Abt uns erst am Abend sehen will. So bleibt uns Zeit für einen Blick in die Bibliothek.«
    »Gerne«, sagte der Mönch. »Ich freue mich immer über Besucher, die sich für Bücher interessieren.«
    Auch wenn Jana die Bibliothek gerne gesehen hätte, im Moment war ihr mehr nach einem Spaziergang am Hafen. Sie musste sich nach dem üppigen Essen die Beine vertreten, vor allem, weil sie nun wusste, dass sie in wenigen Stunden ein weiteres Festmahl aus Louises Küche erwartete.
    Leider erwies sich Pfeiffers Besuch in der Bibliothek als wenig ergiebig.
    Der große Raum war bis zur Decke gefüllt mit interessanten Schriften bekannter und namhafter Wissenschaftler. Hier standen Exemplare von Avicennas Werken neben denen von Galen und Hippokrates. Aber auch streitbare neue Arbeiten von Männern wie William Gilbert waren vertreten. Am liebsten hätte Pfeiffer den ganzen Tag zwischen den wertvollen Schriften verbracht. Doch im Augenblick interessierte er sich bloß für ein spezielles Buch.
    Gerard holte einen dicken Katalog hervor, in dem sämtliche Bücher, die sich in den schwerbeladenen Regalen befanden, sorgfältig aufgelistet waren. Dann schob er sich eine Nietbrille auf die Nase – zwei geschliffene Gläser in einem dünnen Metallrahmen – und suchte mit dem Finger die dichtbeschriebenen Blätter durch. Seine kleinen dunklen Augen sahen hinter den Augengläsern so überdimensional groß aus wie die Augen einer Holzpuppe, wie man sie kleinen Mädchen zum Spielen schenkte.
    Auf einer der Seiten blieb sein Finger stehen. »Hier«, sagte er und klopfte auf die mittlere Spalte.
    »Reisetagebuch eines unbekannten Autors. Band III«, las Pfeiffer. Neben dem Titel stand ein Datum: 15. Mai 1618.
    »Ich kann mich jetzt wieder ganz genau erinnern«, sagte Gerard und nahm seinen Sehbehelf von der Nase. »Abt Etienne hat den Brief aus Rom vor meinen Augen verbrannt und erklärt: ›Trag das Buch in die Liste ein, damit haben wir unseren Teil erledigt.‹«
    »Was hat er damit gemeint?«
    Gerard zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht und ich habe auch nicht nachgefragt. Ich habe Euch schon zuvor erklärt, dass es besser ist, nicht alles zu wissen. Ich bin ein alter Mann, der seine Tage in einem sonnigen Klostergarten genießen will.«
    Pfeiffer antwortete nicht. Er konnte nicht verstehen, dass man inmitten all dieser Bücher, in denen das Wissen der Welt steckte, nicht herausfinden wollte, was

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