Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
endete. Die Narben waren noch frisch.
»Keinen Mucks, sonst findet Euer Arzt seine Geliebte mit aufgeschlitzter Kehle wieder«, sagte eine raue Stimme ganz nah an Janas Ohr. Der Mann sprach in der Sprache ihres Vaters. Auf Deutsch.
Er stieß sie unsanft in die dunkle Unterführung und zerrte sie zu einem der Hauseingänge, die unterhalb der Straßenhöhe lagen. Stufen führten zu einer grün gestrichenen Holztür. Jana immer vor sich her schiebend, öffnete er die Tür, die laut quietschte und eine Treppe in einen Keller freigab. Von unten strömte modrig riechende, feuchtkalte Luft herauf.
Der Mann fesselte Janas Hände mit einem rauen Seil am Rücken und versetzte ihr dann einen so heftigen Stoß, dass ihr die Luft wegblieb und sie über die abgetretenen, glatten Steinstufen nach unten schlitterte. Am Ende stolperte sie über einen harten Gegenstand und prallte mit dem Kopf gegen eine nasskalte Felswand. Blitze zuckten vor Janas innerem Auge auf, in ihren Ohren surrte es. Sie spürte warmes Blut über ihre Schläfen laufen, dann wurde es schwarz um sie.
*
Die Sonne stand bereits tief, als Conrad mit seinem Bericht zu Ende war. Inzwischen hatte Ferdinand jede Seite der beiden Bücher wohl dreimal gelesen. Seine liebste Stelle in Conrads Erzählungen war, wie Jana und er das wertlose Pergament gegen das wertvolle Tagebuch eingetauscht hatten.
Der kranke Gelehrte sagte in beruhigendem Tonfall: »Ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen machen, dass jemand herausfindet, wer die Schrift verfasst hat. Der Kaufmann, dem ich die Pergamentseiten verkauft habe, war bereits damals ein alter Mann und hatte kaum noch Zähne im Mund. Ich habe weder meinen Namen noch meine Tätigkeit genannt, sondern mich als armer Schreiber ausgegeben. Und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass er meine wahre Identität herausbekommen oder überhaupt nach ihr geforscht hat.«
»Ich hatte gehofft, dass du dich nicht zu erkennen gegeben hast, aber wirklich sicher war ich mir nach jener durchzechten Nacht nicht.«
Ferdinand lachte laut auf. »Im Gegensatz zu dir war ich damals sehr trinkfest. Das ist heute leider nicht mehr so. Nach drei Bechern Wein schwirrt mir der Kopf, was ein Jammer ist, denn der Rotwein hier ist ausgezeichnet.« Er zeigte auf den Becher vor sich.
Nun musste auch Conrad grinsen. Er dachte an den billigen, sauren Wein, den sie damals in Wien getrunken hatten und von dem er immer Kopfschmerzen bekam. Für den leichten, fruchtigen, aber teureren Rebensaft hatte er als Student nie genug Geld in der Tasche.
Conrad sah wieder die beiden Bücher an, die neben dem fast leeren Krug lagen, und fragte: »Und du hast von dem Schatz gehört? Was genau soll denn El Dorado sein?«
»Es ist wohl der größte und bedeutendste Schatz der Neuen Welt. Angeblich verehrten die alten Völker der Neuen Welt die Sonne und opferten zu Ehren ihrer Götter jedes Jahr tonnenweise Gold. Sie beluden ein Floß mit Schätzen, setzten auch ihren König darauf und warfen dann alles in den See, um die Gottheiten milde zu stimmen.«
»Mitsamt ihrem König?«, fragte Conrad verblüfft.
Ferdinand zuckte mit den Schultern. »Kann sein, dass sie den bloß mit Goldfarbe angemalt und hinterher wieder abgewaschen haben. So genau habe ich mich mit der Sache nicht beschäftigt. Du kannst es aber in einem Reisebericht von Gonzalo Pizarro und Francisco de Orellana nachlesen. Die beiden Abenteurer brachen 1540 in die Neue Welt auf, um nach Zimt zu suchen.«
»Haben sie welches gefunden?«
Ferdinand schüttelte den Kopf. »Nein, aber sie haben von der Legende von El Dorado gehört und nach dem Schatz gesucht. Wenn ich mich richtig erinnere, haben die beiden das Gold irgendwo am Rio Orellana vermutet. Der Fluss wurde ursprünglich nach ihnen benannt. Heute kennen ihn die meisten Forscher unter dem Namen Amazonas.«
»Willst du damit sagen, dass man sich nicht einmal darüber einig ist, in welchem Teil des Landes der Schatz sein soll?«
Ferdinand lachte auf: »Genau das will ich sagen. Während der Engländer Raleigh, der angeblich eine Karte besaß, behauptete, der Schatz liege irgendwo im Urwald vergraben, sprachen andere von Gebirgsseen im Westen. Aber wirklich wissen tut es niemand.«
»Und dass die ganze Legende eine einzige Lügengeschichte ist?«
»Auch das ist möglich. Aber eine, die sich hartnäckig hält. Am besten, du gehst selbst in die Bibliotheken und liest nach. Ich habe vieles von dem, was ich gehört habe, wieder vergessen. Ich konnte ja
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