Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
nicht ahnen, dass du eines Tages mit der am besten behüteten Schatzkarte der Welt hier antanzt und sie mir neben mein Weinglas legst.«
»Erzähl weiter von diesem Schatz«, forderte Conrad seinen Freund auf. Er hatte Angst, dass Ferdinand mit seinen Erzählungen schnell wieder bei gemeinsamen Erinnerungen an die Zeit in Wien landen würde.
»Wie du sicher gehört hast, haben Spanier und Portugiesen seit Jahrzehnten tonnenweise Gold …«, Ferdinand unterbrach sich. »Weißt du übrigens, dass Portugal längst vom spanischen König regiert wird? Wenn der portugiesische Adel sich das noch lange gefallen lässt, wird das einst so stolze Portugal bloß noch eine spanische Provinz sein, und man kann gar nicht mehr von ›Spaniern und Portugiesen‹ sprechen.«
Conrad hatte keine Ahnung, worüber Ferdinand da sprach. Vorsichtig erinnerte er ihn: »Du wolltest etwas über das Gold sagen …«
»Verzeih, es fällt mir zunehmend schwerer, bei einer Sache zu bleiben, immer wieder kommen mir alle möglichen Gedanken dazwischen. Das liegt vielleicht am Alter.«
Conrad schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es eine Sache des Alters ist. Du hast immer schon dazu geneigt, beim Erzählen sehr weit auszuholen.«
»Tatsächlich?« Ferdinand schien überrascht. »Na egal, ich will jetzt keinen Vortrag über portugiesische Politik halten. Sie haben also in den letzten Jahrzehnten tonnenweise Gold aus Amerika geraubt und damit die Staatskasse aufgebessert. Aber es sollen noch mehr Schätze zu holen sein, allen voran dieser Goldschatz.«
Ferdinand hustete, seine Kehle war trocken. Conrad reichte ihm einen Becher voll Wein, und der Freund trank dankend einen Schluck. Dann setzte er seine Erzählung fort: »Natürlich wollen auch die anderen europäischen Nationen wie die Engländer und die Holländer etwas von dem sagenhaften Reichtum abbekommen. Es heißt, dass die Engländer Piraten anwerben, um spanische Schiffe zu überfallen. Angeblich hat Sir Francis Drake seinerzeit der englischen Königin so viel Silber gebracht, wie sie sonst in einem Vierteljahr an Steuergeldern einnahm. Dabei hat er bloß ein einziges spanisches Schiff gekapert. Aber nicht nur die großen Nationen, sondern auch die katholische Kirche ist auf das Gold der Ureinwohner erpicht. So liefern sich alle einen eifrigen Wettlauf, und kaum glaubt einer, dem anderen gegenüber im Vorteil zu sein, versucht er seinen Gegner aufzuhalten. Ich könnte mir vorstellen, dass das, was ihr gefunden habt, diese Karte von Raleigh ist. Der Engländer hat sie an die Spanier oder an die Jesuiten verloren, so genau weiß man es nicht. Jetzt sitzt er im Tower in London und wartet auf die Vollstreckung seines Todesurteils, denn er ist beim neuen König in Ungnade gefallen. Es grenzt an ein Wunder, dass ihr beiden, du und Jana, immer noch am Leben seid und sogar die Karte noch besitzt.«
Conrad war enttäuscht. Insgeheim hatte er immer noch gehofft, dass die Schrift Wissen berge, das die Welt verbessern und erneuern könnte. Dass es eigentlich um einen Goldschatz von gigantischen Ausmaßen ging, begeisterte ihn keineswegs.
»Gold«, sagte er missmutig.
Ferdinand nickte. »Gold in einem nie dagewesenen Umfang. Wer es besitzt, kann die Welt regieren.«
»Du meinst also, es ist wichtig, dass es nicht in die falschen Hände gerät«, meinte Conrad.
»Ich würde mir wünschen, dass so viel Gold nicht denjenigen in die Hände fällt, die jeden Fortschritt verhindern wollen.«
»Du meinst die Kirche.«
Ferdinand sah ihn unschuldig an. »Es gibt auch weltliche Herrscher, die gerne die Zeit anhalten würden.«
Conrad verzog das Gesicht. »Glaubt man den Weltkarten, so ist Amerika ein riesiger Kontinent. Den Schatz mit dieser kleinen Karte zu suchen würde der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichkommen.«
»In der Bibliothek der Universität finden sich Reiseberichte und detailliertere Karten. Es gibt auch Schriften von Walter Raleigh und Francisco de Orellana. Ich denke, dass du durch Nachforschungen das Gebiet eingrenzen kannst, sobald du Ähnlichkeiten zwischen deiner und anderen Karten feststellst.«
Eine Pause entstand, Conrad dachte nach.
Dann sagte er: »Du meinst, Jana und ich sollten in die Neue Welt aufbrechen und nach El Dorado suchen?«
»Wäre ich jung und gesund, würde ich es tun. Wer weiß, was sich sonst noch alles dort findet? Was hält dich in Europa? Und nach allem, was du mir erzählt hast, ist Jana eine Frau, die mit dir bis ans Ende der
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