Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
war sie zu einem Ergebnis gekommen. Vertraulich beugte sie sich zu Jana und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: »Kann es sein, dass diese Person bis nach München reisen will?«
Jana lief rot an. Die Schmiedin hatte sie durchschaut. Als Freundin der Familie Krejcirik wusste sie natürlich, dass Bedrich jahrelang erfolglos um Jana geworben hatte.
»Ihr braucht mir nicht zu antworten.« Die gefühlvolle Frau hatte Janas Erröten falsch gedeutet. »Natürlich kann diese Person«, sie zwinkerte mit beiden Augen, »die alte Stute haben. Es wäre schön, wenn das Tier noch einen letzten Auftrag erfüllen darf, bevor es endgültig in den Pferdehimmel geht. Es hätte auch meinen Mann sehr gefreut.« Erneut wurden ihre Augen feucht. Sie ergriff Janas Hände und drückte sie fest. »Man muss Liebenden helfen. Schließlich gibt es nichts Wichtigeres im Leben als den Menschen, den man mag.«
Jana schluckte hart. Ein bisschen kam sie sich wie eine Betrügerin vor. Doch dann redete sie sich zu, dass sie ja tatsächlich nach München wollte, vorerst zumindest, und dass auch Frau Kovarik ihren Nutzen von der Sache hatte. Sie musste sich keine Gedanken mehr über ein Pferd machen, das sie sich ohnehin nicht leisten konnte.
»Marie wird es in München gefallen«, sagte die kleine Frau.
»Marie?«
»So heißt die Stute.«
»Oh!« Jana hoffte, dass Frau Kovarik nie erfuhr, wie weit Marie in Wirklichkeit reisen sollte.
»Wann wollt Ihr denn aufbrechen?«
»Diese Woche noch«, flüsterte Jana. Sie fühlte sich belauscht, was unsinnig war, denn außer Frau Kovarik befand sich niemand im Hof. Ihr Sohn hatte zwar aufgehört zu hämmern, war aber im Stall.
»Sagt mir einfach Bescheid, ich werde Marie für Euch bereitmachen. Für den Sattel muss ich aber …« Frau Kovarik machte eine Pause.
»Selbstverständlich bezahle ich für den Sattel«, warf Jana ein.
Als die Schmiedin eine lächerlich geringe Summe nannte, atmete Jana erleichtert auf. Nun hatte sie auch ihr letztes Problem gelöst. Sie freute sich auf den Gesichtsausdruck von Doktor Pfeiffer, wenn sie ihm heute Abend davon erzählte.
Leider war der Arzt weder überrascht noch sonderlich beeindruckt, sondern nahm Janas Nachricht ohne jede Regung entgegen.
»Wir werden morgen Nacht aufbrechen«, sagte er bestimmt. »Ich habe den Nachtwärter beim Schweinetor mit einer unerhört hohen Summe bestochen. Geld, das ich mir erspart hätte, wäre ich ohne Euch aufgebrochen.« Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Er wird das Tor kurz nach Mitternacht unbeaufsichtigt lassen.«
»Das Svinska brana geht nach Osten hinaus. Müssen wir nicht in Richtung Süden reiten?«
Der Doktor seufzte: »Wie viele Männer der Stadtwache kennt Ihr, die sich bestechen lassen?«
Jana musste zugeben, dass sie nicht einen einzigen kannte, und bevor der Arzt es sich noch einmal anders überlegen konnte, stimmte sie zu: »Nun gut, dann nehmen wir das Svinska brana.«
Den folgenden Tag verbrachte Jana in einem Aufruhr der Gefühle. Nie zuvor in ihrem Leben war sie so aufgeregt, nervös und unkonzentriert zugleich gewesen. Sie mischte die falschen Kräuter zusammen, ließ zwei wertvolle Glasflaschen fallen und verlangte von den Kunden zu hohe oder zu niedrige Geldbeträge. Tante Radomila beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen, und Jana war sicher, dass sie etwas von Janas Plänen ahnte.
»Wo bist du bloß mit deinen Gedanken?«, schimpfte Radomila schließlich und schickte die Nichte in die Küche zum Saubermachen. Das anstrengende Schrubben der Töpfe nahm Jana viel von ihrem Abschiedsschmerz und sogar etwas von der Angst vor der Ungewissheit.
In ihrer Kammer war schon alles für den Aufbruch bereit. Ihre Habseligkeiten befanden sich in einem Reisesack, ihr Geld hing in einem kleinen Lederbeutel unter ihren Röcken, und der Brief, den sie an ihren Onkel geschrieben hatte, lag auf dem Kopfkissen. Statt der Goldkette ihrer Mutter, die sie bisher um den Hals getragen hatte, hing nun der seltsame Goldanhänger aus der Neuen Welt zwischen ihren Brüsten unter dem Hemd. Schwer und warm erinnerte er sie einerseits an das bevorstehende Abenteuer und andererseits an ihren Vater. Neben dem Buch, das sich im Moment bei Doktor Pfeiffer befand, war das Schmuckstück das Einzige, was ihr von Marek Jeschek geblieben war. So als wäre es eine geheime Verbindung zu dem Verstorbenen, versteckte sie es für niemanden sichtbar unter ihrem Hemd. Sie wollte das Andenken an ihren Vater und die
Weitere Kostenlose Bücher