Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Unannehmlichkeiten.«
Empört öffnete Abt Benedikt den Mund, schloss ihn aber wieder, denn er wusste, dass Tepence die Wahrheit sprach. Das ketzerische Dokument musste so rasch wie möglich zurück ins Clementinum, bevor der Dieb seine Existenz publik machte.
»Wäre ich jung genug, würde ich diesem verdammten Arzt selbst hinterherreiten und höchstpersönlich dafür sorgen, dass er am Galgen landet. Aber ich bin alt und offensichtlich nicht mehr ganz zurechnungsfähig, sonst hätte ich diesem Mann niemals mein Vertrauen geschenkt«, sagte Tepence niedergeschlagen.
Auf Abt Benedikts Gesicht spiegelte sich sein verzweifelter Kampf um die richtige Entscheidung wider.
Tepence drängte ihn: »Wenn der Papst erfährt, dass sich in unserem Kloster eine Schrift mit ketzerischem Inhalt befunden hat, wird er einen Bruder der Fraternitas Secreta zu uns schicken, um die Sache aufzuklären. Gelingt es uns, die Schrift wiederzubeschaffen, bevor er davon erfährt, können wir sie immer noch nach Rom schicken. Dann sollen der Papst und die geheimen Brüder darüber entscheiden, was mit ihr geschehen soll.«
Der Abt und Jendrik hatten jedes seiner leisen Worte verstanden. Angstvoll sahen sie einander an.
»Es gibt sie also wirklich, die geheime Bruderschaft, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, wenn es darum geht, die Anliegen des Papstes durchzusetzen?«, fragte Jendrik vorsichtig.
Abt Benedikt nickte nur. Dann sagte er in entschiedenem Ton zu Jendrik: »Bruder Jendrik, ich nehme dein Angebot an. Hiermit erteile ich dir den Auftrag, nach dem Dokument zu suchen und es sicher zurückzubringen. Vielleicht hat der Arzt das Manuskript bloß ausgeliehen. Sollte er aber die Stadt damit verlassen haben, werde ich dich mit reichlich Geld ausstatten und dir ein Schreiben mitgeben, das dir die Türen aller europäischen Jesuitenklöster öffnet. Ich erwarte absolute Diskretion und sicheren Erfolg. Die Zukunft des Clementinums liegt in deinen Händen.«
Als Jendrik in seine Kammer zurückging, schimpfte er sich selbst für seinen Übereifer. Hätte er doch bloß den Mund gehalten, schließlich traf den alten Tepence bei weitem mehr Schuld als ihn. Wenn Tomeks Mutter erfuhr, dass er den Arzt unter ihrem Dach des Diebstahls bezichtigte, würde er nie wieder zum Abendessen eingeladen werden. Aber genau diese Abende bildeten die Höhepunkte seines Lebens und nun brachte er sich vielleicht selbst darum.
Im Böhmerwald
» E UER P FERD IST EINE Z UMUTUNG. Wenn wir weiterhin in diesem Tempo dahinzuckeln, kommen wir erst zu Weihnachten in München an!«
Seit sie den Flusslauf der Moldau verlassen hatten, wand sich der Weg stetig bergauf. Und genauso lang schon schimpfte und murrte der Doktor aus Wien über Janas alte Stute. Ohne Zwischenfall hatten sie Prag durch das offenstehende unbewachte Stadttor verlassen, und ebenso unauffällig hatte Jana das alte Pferd des toten Schmieds übernommen. Doch bereits, als die Schmiedin ihr das klapprige Tier übergab, hatte Jana gewusst, dass Maries Tage gezählt waren. Sie bekam plötzlich schwere Zweifel, ob das alte Tier eine derart lange und beschwerliche Reise noch durchhalten konnte.
Das erste Stück des Weges war Marie bereitwillig neben dem Hengst des Arztes hergelaufen. Doch kaum war die Nacht hereingebrochen, hatte das Pferd deutlich an Kraft verloren und war langsamer geworden. Jana hatte all ihre Überredungskraft aufwenden müssen, um Marie zum Weiterlaufen zu bewegen. Immer wieder hatte Jana kleine Pausen eingelegt und Pflanzen gepflückt, die am Wegrand blühten. Aber eigentlich war es ihr darum gegangen, dem alten Tier eine Verschnaufpause zu gönnen.
»Ihr könnt nicht jede Blume mitnehmen, die Euch gefällt«, hatte der Arzt geschimpft. »Wir sind auf der Flucht. Vielleicht jagt uns Euer verrückter Verlobter schon hinterher.«
»Das ist keine Blume, sondern Johanniskraut, und wie Ihr wisst, kann es die Stimmung aufhellen. Ich werde Euch am Abend einen Aufguss davon bereiten.« Pfeiffer schnaufte verächtlich, sagte aber nichts mehr.
Jetzt, nach fast zwanzig Stunden Reise, war das Pferd völlig erschöpft. Es bockte und wurde störrisch wie ein Esel. Allerdings schnaufte auch der Hengst des Arztes empört, der deutlich jünger war. Seit einigen Stunden verlief der Weg nicht nur bergauf, sondern war zudem eng und felsig geworden. Marie begann zu lahmen, und Jana musste absteigen und das Tier zu Fuß am Zügel weiterführen. Sie flüsterte Marie aufmunternde Worte ins Ohr,
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