Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Maly
Vom Netzwerk:
ganz nah ans Schlüsselloch halten, um mit seiner zitternden Hand den Schlüssel hineinstecken zu können. Beinahe geräuschlos sperrte er auf, nahm seinen Stock und humpelte weiter zu der kleinen Tür, die sich hinter der roten Wandbespannung verbarg. Wieder drehte er den Schlüssel im Schloss und trat nun ins Innerste der Bibliothek.
    Zufrieden sog er die Luft ein. Er liebte den Geruch nach Leder, altem Pergament und Tinte. Nach einem Moment des Innehaltens ging er zielstrebig zum Regal rechts an der Wand und griff nach dem Ledereinband. Der Arzt aus Wien hatte das Manuskript genau wieder dort hingestellt, wo es hingehörte. Keinen Fingerbreit weiter nach rechts oder links. Der junge Wissenschaftler war sehr gewissenhaft und verlässlich. Tepence gratulierte sich selbst dazu, ihn mit dieser schwierigen Aufgabe betraut zu haben. Er trug die braune Ledermappe zum Tisch. Sie war leichter als sonst, oder bildete er sich das bloß ein? Vielleicht verlieh ihm das Manuskript neue Kraft, das wäre sehr erfreulich.
    Bedächtig ließ er sich auf seinen Lieblingsstuhl sinken, stellte die Öllampe auf den Tisch und schlug nun endlich den Ledereinband auf.
    Der Schrei, den er nun ausstieß, war so durchdringend, schrill und laut, dass er durchs ganze Gebäude hallte und bis in die entlegenste Dienstbotenkammer drang.
    Der Abt, dessen Kammer gleich neben der von Tepence lag, kam als Erster zu Hilfe geeilt. Als er in die Bibliothek stolperte, fand er den alten Mann mit wütender Miene und zerrauftem Haar über einen leeren Ledereinband gebeugt.
    »Ich will, dass dieser Pfeiffer augenblicklich hier erscheint! Und wenn er das Manuskript nicht mitbringt, dann gnade ihm Gott!«, zischte Tepence hasserfüllt.
    Der Abt verstand nicht, wovon der alte Mann sprach. »Wer ist Pfeiffer und worum geht es eigentlich?«, fragte er verwirrt.
    »Der Arzt Conrad Pfeiffer hat das wertvolle Dokument gestohlen, das Kaiser Rudolf mir vermacht hat!«, erwiderte Tepence tonlos. Er fühlte sich plötzlich kraftlos und schlapp. Wie hatte er bloß so naiv sein können?
    »Die Schrift mit dem ketzerischen Inhalt?«, sagte der Abt verwirrt. »Wie konnte das passieren? Außer Euch hatte doch niemand die Berechtigung, das Dokument anzusehen.«
    In diesem Moment betrat Jendrik Zajic den Raum. Er hatte ebenfalls einen leichten Schlaf und war von dem Tumult in der Bibliothek aufgewacht und beunruhigt herübergeeilt.
    Vorsichtig trat er nun neben den Abt und den alten Gelehrten. Er hatte die letzten Sätze mit angehört, aber auch ohne Tepences offene Schuldzuweisung hätte er gewusst, wer der Dieb gewesen sein musste. Dieser überhebliche Arzt aus Wien hatte noch vor ein paar Tagen damit geprahlt, dass er ins Clementinum gerufen worden war, um irgendwelche Bücher zu begutachten. Jendrik hätte nie erwartet, dass man den eingebildeten Wissenschaftler bis ins Innerste der Bibliothek lassen würde. Wenn man ihn gefragt hätte, dann hätte er den Abt natürlich vor dem Gotteslästerer gewarnt. Solche Leute kannten keine Skrupel und schreckten, wie man jetzt sehen konnte, auch vor Diebstahl nicht zurück.
    Es war nicht auszudenken, was passieren konnte, wenn ein solcher Mann die häretischen Irrlehren dieses Dokuments in den Hörsälen der Universitäten verbreitete. Jendrik Zajic verspürte ein heftiges Schuldgefühl und auch ein schlechtes Gewissen, weil er dem Abt nicht rechtzeitig von dem Gespräch mit Pfeiffer berichtet hatte. Wer weiß, vielleicht wäre das Clementinum dann noch im Besitz des Dokuments?
    Und so sagte er leise: »Überlasst es mir, den Mann zu holen. Ich weiß, wo er wohnt. Falls er Prag bereits verlassen hat, werde ich ihm so lange nachreiten, bis ich ihn gefunden habe. Ich sorge dafür, dass das gefährliche Schriftstück bald wieder in unseren Händen ist.«
    »Seid Ihr verrückt geworden?«, rief der Abt aufgebracht. »Diese Aufgabe ist schwierig und bedarf eines Mannes mit Erfahrung im Kampf.«
    Jendrik schluckte hart ob der harschen Zurechtweisung: »Ich werde mein Bestes geben.«
    Tepence schaltete sich ein, immer noch in leisem, vertraulichen Tonfall: »Abt Benedikt, wir müssen die Schrift zurückholen, bevor der Vatikan von der Sache erfährt. Wir beide wissen, dass wir dem Papst längst von dieser Schrift hätten berichten müssen. Vielleicht hätte der Heilige Vater dann das Dokument angefordert, um es in Rom höchstpersönlich zu verbrennen. Aber ich wollte mich von der Schrift nicht trennen, und Ihr hattet Angst vor

Weitere Kostenlose Bücher