Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
gebeugtem Rücken auf und stolperte zu Jana.
»Seid Ihr verletzt?«, fragte er. Aus seiner Nase floss Blut, und seine Unterlippe war aufgesprungen. Über dem rechten Auge war die Haut aufgeplatzt, und eine große Platzwunde prangte auf seinem linken Backenknochen. Vermutlich würden ihn die Narben sein ganzes Leben lang an diesen Nachmittag erinnern.
Jana schüttelte den Kopf.
»Tomek … ist er …?« Ihre Stimme versagte. Der Mut von vorhin hatte sich in pure Angst verwandelt.
Humpelnd wandte sich Doktor Pfeiffer dem am Boden liegenden Mann zu. Dann ließ er sich neben Tomek auf ein Knie sinken und hielt seine Finger an die Halsschlagader des Verletzten. Aus der Schläfe des Bewusstlosen tropfte dunkles Blut in den Sand.
»Er lebt«, stellte Pfeiffer nüchtern fest.
Jana fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Sie war sicher, dass man den Aufprall bis nach Passau hören konnte.
Der Arzt fuhr fort: »Wir sollten ihn fesseln, damit er nicht noch einmal über uns herfallen kann.«
»Womit?«
»Nehmt seinen Gürtel.«
Entsetzt starrte Jana ihn an. Meinte er wirklich, sie sollte Tomek unters Hemd greifen und ihm den Gürtel aus der Hose ziehen?
»Das müsst Ihr machen«, sagte sie entschieden und drehte sich weg.
Doktor Pfeiffer seufzte schwer und murmelte etwas von verletzten Händen, mit denen er nun auch noch einen Verrückten fesseln musste. Jana war es gleich, bei dem Gedanken, Tomeks Körper zu berühren, erschauderte sie.
Als Tomek gefesselt war, fragte Jana: »Soll ich Eure Wunden versorgen?«
»Nicht notwendig«, erwiderte Doktor Pfeiffer rasch.
»Ich bin darin geübt«, meinte Jana, aber der Arzt winkte mit beiden Händen ab. »Dann eben nicht.«
Eine Pause entstand. Pfeiffer schien zu überlegen.
Dann sagte er: »Tomek hat uns nicht verfolgt, er ist aus der anderen Richtung gekommen. Er muss also schon in Passau gewesen sein. Wie ich die Lage einschätze, ist er nicht allein unterwegs. Bestimmt hat er irgendeinen seiner Kumpanen dabei.«
»Oder Jendrik Zajic, dem es einen Riesenspaß bereiten würde, mich gedemütigt zurück nach Prag zu bringen«, warf Jana ein. »Der Mann kann mich nicht ausstehen.«
»Der Jesuit?«
Pfeiffer wurde blass, und Jana hatte für den Bruchteil einer Sekunde den Eindruck, als fiele ihm bei der Erwähnung von Zajic noch etwas ganz anderes ein.
»Jendrik hasst mich«, erklärte sie. »Vielleicht, weil ich seinen besten Freund heiraten sollte?«
»Was machen wir nun mit ihm? Sollen wir ihn einfach hier liegen lassen?« Pfeiffer war es offenbar egal, ob der Jesuit Jana mochte oder nicht.
Sie zögerte. »Was, wenn er nicht aufwacht?«
»Wir können ihn auch einfach auf sein Pferd binden und es losschicken.«
Plötzlich hatte Jana eine wundervolle Idee. Sie kannte Tomeks Pferd gut, schließlich hatte sie ihn jahrelang darum beneidet.
»Ich denke, es wird höchste Zeit, dass ich ein neues Pferd bekomme«, sagte sie leise. Es gelang ihr nicht, die Freude in ihrer Stimme zu verbergen.
Pfeiffer war sofort einverstanden. »Dann helft mir, Euren Verlobten auf Marie festzuschnallen. Wir werden das Pferd bis nach Passau bringen und dann so rasch wie möglich nach München weiterreiten.«
»Glaubt Ihr nicht, Tomek wird uns folgen?«
»Lasst uns hoffen, dass er jetzt genug hat. Nach dem, was heute vorgefallen ist, wird er euch doch bestimmt nicht mehr heiraten wollen.«
Jana antwortete nicht. Vielleicht wollte Tomek sie tatsächlich nicht mehr heiraten. Aber sein Verlangen nach Rache und Genugtuung würde nun dringlicher sein als je zuvor. Ihr blieb nur die Hoffnung, dass die Situation in Prag Tomeks rasche Rückkehr verlangte. Schließlich stand er nach wie vor im Dienste des Grafen von Thurn, und der hatte im Moment alle Hände voll zu tun, die Habsburger aus Prag zu vertreiben.
Es war kaum wahrscheinlich, dass Graf von Thurn Verständnis hatte für einen rachsüchtigen jungen Mann, der seiner Verlobten hinterherlief, um seine Ehre wiederherzustellen. Mit dieser Überlegung gelang es Jana, ihre angespannten Nerven ein wenig zu beruhigen.
7
Passau
S TIMMENGEWIRR, DAS K LAPPERN von Geschirr und der Geruch nach gebratenem Schweinefleisch drangen aus der Wirtsstube herüber in die winzige Kammer, die Tomek und Jendrik für eine unglaublich hohe Summe gemietet hatten.
Jendrik war entsetzt gewesen, als ihm am linken Donauufer ein altes klappriges Pferd entgegenkam, auf dem sein Freund festgebunden war. Es war nicht schwer zu erraten gewesen, wer ihm das angetan hatte.
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