Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Er hätte Tomek nicht allein reiten lassen dürfen. Aber sie hatten vereinbart, dass einer von ihnen vor der Stadt und der andere in Passau nach den beiden suchte. Wer hätte gedacht, dass ein schlaksiger Wissenschaftler und eine kleine, schwache Frau seinen kräftigen Freund bezwingen konnten.
Eben war der Arzt gegangen, der die klaffende Wunde an Tomeks Schläfe genäht hatte. Auch er hatte eine unverschämt hohe Summe verlangt. Passau war eine reiche Stadt, die Menschen hier schienen mehr Geld zu verdienen als anderswo. Zum Glück hatte sich Abt Benedikt vor der Abreise als großzügig erwiesen, und Radomila hatte ihrem Sohn fast den gesamten Inhalt ihrer Geldtruhe mitgegeben.
Noch immer ahnte Tomek nicht, dass Jendrik ebenfalls hinter Jana und dem Arzt her war. Es war eine göttliche Fügung, dass dieses schreckliche Weib ausgerechnet mit dem Dieb von Tepences Dokument weggelaufen war, so konnten nun Tomek und Jendrik gemeinsam für Gerechtigkeit sorgen. Jendrik seufzte und betrachtete seinen angeschlagenen Freund liebevoll. Tomeks Augen waren geschlossen, die dichten, dunklen Wimpern zuckten leicht auf den zarten Lidern. Er sah trotz der Verletzung männlich und stark aus. Nichts konnte die Kraft und die Schönheit dieses Mannes schmälern, auch eine weitere Narbe nicht. Ganz im Gegenteil, sie würde Zeugnis ablegen, was für ein Haudegen er war. Schon als Knabe hatte Jendrik seinen Freund für seinen Mut und seine Kraft bewundert und mehr noch: Er hatte schon damals begonnen, ihn zu lieben.
Als Jendrik seine ungesunde Neigung erkannt hatte, war er bei den Jesuiten eingetreten. Er hatte gehofft, wenn er sein Leben der Kirche weihte, würde Gott ihn belohnen und von seinem Fluch befreien. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Mit jedem Jahr, das Jendrik älter wurde, wuchs die Liebe zu seinem Freund und das Verlangen nach körperlicher Nähe.
Tomek ahnte natürlich nichts von Jendriks Sehnsüchten, und das war gut so. Niemand durfte je davon erfahren. Auch Gott nicht. Bloß, wie konnte man den täuschen? Für einen Mann der Kirche war es schlimm genug, wenn er sich in eine Frau verliebte. Aber sein Herz an einen Mann zu verlieren war mehr als eine bloße Sünde. Es war eine Todsünde und würde mit dem Fegefeuer bestraft werden. Um Gott am Tag des Jüngsten Gerichts zu besänftigen, musste Jendrik viele gute Taten vorweisen können. Als Jesuit war er dem Papst, dem rechtmäßigen Stellvertreter Gottes, verpflichtet. Solange er das Wort des Papstes befolgte, konnte ihm nicht viel passieren. Und wenn es ihm gelingen sollte, das Manuskript sicher nach Prag zurückzubringen, war ihm nicht nur die Gunst des Abts, sondern auch die Liebe Gottes gewiss.
Tomek hustete. Seine Augenbrauen zogen sich im Schlaf zusammen, ganz offenbar schmerzte ihn die Wunde an der Schläfe. Es war Jendrik, als könnte er den Schmerz des Freundes selbst spüren, und er merkte, wie die Wut in ihm wuchs. Schuld daran war Jana. Diese eigensinnige Frau, die sich gegen alle naturgegebenen Regeln stellte und stets ihren Dickkopf durchsetzen musste. Keine vor ihr hatte eine Lehre als Apothekerin gemacht, und wenn doch, so war sie nicht in der Innung aufgenommen worden. Schon als kleiner Junge hatte Jendrik das Mädchen verabscheut, das, statt davonzulaufen, wenn er ihr Schlamm nachwarf, sich auf ihn gestürzt und ihn selbst mit Dreck eingerieben hatte. Es konnte Gott unmöglich recht sein, dass ein derart starrköpfiges Weib in der von ihm geschaffenen Welt herumlief, Männern den Kopf verdrehte und sich über alle Gesetze der Natur hinwegsetzte. Das Weib sollte dem Mann untertan sein und nicht umgekehrt. Es war völlig verrückt, ihr nachzulaufen und sie zurückzuholen. So wertvoll konnte eine Apotheke doch gar nicht sein, dass sich eine Ehe mit dieser Frau lohnte. Die Vorstellung von Tomek und Jana als Ehepaar brannte wie ein Pfeil in Jendriks Brust.
Aber das Wichtigste war nun, Tomek wieder auf die Beine zu bringen. Die Wunde war groß, und wie es im Moment aussah, war sie dabei, sich zu entzünden. Die Stirn des Freundes war deutlich heißer als sonst. Seit der Arzt gegangen war, schlief er zwar, aber das Fieber bereitete Jendrik dennoch Sorgen. Falls es weiter steigen sollte, musste er noch einmal den Arzt holen. Er seufzte. Egal, sie hatten genug Geld dabei.
Und sie wussten, wohin die beiden Flüchtlinge wollten. Die Schmiedin hatte ihnen verraten, dass Jana nach München reiste, um dort Bedrich zu heiraten. Natürlich hatte sie
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