Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
dass er noch lauter aufheulte.
»Er soll von dem Schnaps trinken«, sagte Pfeiffer bestimmt.
Rosa nahm von Antonio die Schnapsflasche entgegen und hielt sie Kasper an den Mund. Jana musste an einen Säugling denken, der gefüttert wurde. Weinend flehte Rosa ihren Sohn an, doch bitte zu trinken. Erst drehte Kasper sich weg, aber als er erkannte, um welche Art von Flüssigkeit es sich handelte, schluckte er bereitwillig. Als er die Flasche kurz absetzte, schob Rosa ihm schnell die Opiumkugeln unter die Zunge.
»Gibt es hier Wasser, damit ich mir die Hände waschen kann?« Doktor Pfeiffer sah sich suchend um.
»Wozu wollt Ihr Euch die Hände waschen?« Antonio wurde zusehends ungeduldig.
»Ich kann es wissenschaftlich noch nicht erklären, aber ich habe beobachtet, dass Ärzte, die mit sauberen Händen operieren, mehr Erfolg haben als solche, die sich die Hände nicht waschen.«
»Da hinten ist ein Bächlein.« Genervt deutete Antonio mit dem Kinn in Richtung Wald.
Einen Moment lang sah Jana dem Arzt nach, dann folgte sie ihm. Als er sich umdrehte, fragte sie: »Soll ich Euch helfen?«
Überraschung lag in Pfeiffers blauen Augen. »Beim Händewaschen?«
Verärgert verzog Jana den Mund.
»Ihr müsst Euch wohl immer über mich lustig machen?«, bemerkte sie ärgerlich. »Ich meinte, beim Operieren.«
Aber Pfeiffer war ganz und gar nicht nach Scherzen zumute. Skeptisch fragte er: »Traut Ihr Euch das zu?«
»Natürlich traue ich mir das zu«, sagte Jana bestimmt. Sie begleitete ihn zu einer Quelle, die hinter einigen Nadelbäumen aus einer kleinen Nische in der Felsenwand entsprang. Dort zog sie ein Stück Seife aus ihrer Rocktasche, das sie nach der Morgentoilette dort vergessen hatte.
»Das könnte helfen«, sagte sie und reichte es dem Arzt.
Wortlos nahm Pfeiffer das Seifenstück und wusch sich die Hände. Ein Geruch von Lavendel und Rosenblüten stieg auf und mischte sich auf betörende Weise mit dem Moos- und Holzgeruch des Waldes.
»Werdet Ihr das Bein abnehmen müssen?«, fragte Jana.
Pfeiffer zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er ehrlich. »Zuerst werde ich versuchen, die Knochen wieder in die richtige Position zu bringen. Ich hoffe, dass es keine kleinen Knochensplitter gibt. Dann werde ich das Bein ruhigstellen, mit zwei möglichst geraden Ästen, die ich rechts und links vom Bein festbinde, und dann erst werde ich die Wunde nähen. Zuletzt werden wir die Äste gegen eine feste Schiene austauschen, die Kasper jede Bewegung unmöglich macht. Ich fürchte, das wird der schwierigste Teil.«
Jana verstand, was der Arzt meinte. Kasper war nicht wie andere Menschen, vernünftige Erklärungen halfen bei ihm nicht weiter. Wenn er Schmerzen hatte, dann schrie er und warf seinen Körper wild hin und her, ganz egal, welche Folgen das für ihn hatte.
»Ich habe gesehen, dass Michael sehr geschickt im Umgang mit Holz ist«, erzählte Jana. »Er hat in der Fuggerei Rosas kaputtes Tischchen repariert und im Dorf einem Kind ein kleines Männchen geschnitzt. Vielleicht kann er eine passende Schiene basteln.«
»Vielleicht«, sagte Pfeiffer düster. »Aber zuerst müssen wir versuchen, das Bein zu retten.«
Er gab Jana die Seife zurück, stand auf und lief rasch zurück zum Unglücksort. Nun wusch sich auch Jana die Hände. Sie liebte den Duft der Seife, aber selbst der beruhigende Lavendel vermochte ihre Angst nicht zu mindern. Vor Nervosität schlug ihr das Herz bis zum Hals.
Als sie zurück zum Unglücksort kam, waren Antonio und Ludwig bereits dabei, den kaputten Wagen zu untersuchen. Die vordere Achse war gebrochen. Dadurch hatte Rosa die Kontrolle verloren, der Wagen war ins Schlingern geraten und schließlich gekippt. Es war ein Glück, dass Rosa und auch dem Zugpferd nichts geschehen war.
»Der Alkohol beginnt langsam zu wirken«, sagte Rosa. Sie hockte immer noch am Boden bei ihrem Sohn.
Pfeiffer hatte auf dem Rückweg vom Bach zwei gerade Äste gefunden, die er neben den Verletzten legte.
»Jana, würdet Ihr mir bitte den kleinen Lederbeutel aus der Satteltasche holen? Darin befinden sich meine Instrumente.«
Jana war zu aufgeregt, um sich über die Bitte des Arztes zu wundern. Die Situation war eine Ausnahme, und Kaspers Zustand erlaubte es nicht, dass Pfeiffer sich noch einmal von ihm entfernte.
Also eilte Jana zu Pfeiffers Pferd und öffnete die Lederriemen der Satteltasche. Vor Aufregung zitterten ihre frisch gewaschenen Hände, als sie die Klappe zurückschlug.
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