Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Michael genau beschrieben, welche Art von Schiene er benötigte.
»Die Äste sind nur eine vorübergehende Lösung, denn sobald Kasper aufwacht, wird er wie wild um sich schlagen. Dann kann der Knochen sich erneut verschieben. Wenn er falsch zusammenwächst, bliebe ihm ein verkrüppeltes Bein.«
Im Hintergrund murmelte Bedrich etwas Unverständliches, aber niemand schenkte ihm Beachtung.
»Sobald die Paste ausgekühlt ist, kann man sie auf der Wunde verteilen und dann das Bein verbinden«, erklärte Jana. Sie stellte den Topf neben Kasper und Rosa. In den letzten Stunden war die zuvor noch so jugendlich wirkende Frau zu dem geworden, was sie tatsächlich war: eine gutaussehende, aber bereits alte Frau. Die Falten auf ihrer Stirn und rund um die Augen traten sichtbar hervor.
Sie hielt Kaspers Hand und nickte Jana dankbar zu.
»Wenn Ihr mir zeigt, wie viel man verwenden muss, kann ich den Verband selbst anlegen.«
Jana versicherte ihr, dass sie ihr dabei gerne behilflich wäre. Aber zuvor mussten die Kräuter abkühlen.
»Können wir Kasper denn in diesem Zustand transportieren?«, fragte Antonio. Auch er hatte schon deutlich besser ausgesehen, die Ereignisse der letzten Stunden hatten allen zugesetzt.
»Wir sollten die Nacht unbedingt hier verbringen«, sagte Pfeiffer. Er säuberte seine Instrumente und verstaute sie wieder in seinem Ledersack.
»Und was ist mit morgen?«, fragte Antonio.
Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Das weiß Gott allein. Wenn sich die Wunde entzündet und Kasper Fieber bekommt, sollten wir auf keinen Fall losfahren. Zuerst muss ohnehin die Schiene fertig sein.«
Der alte Schauspieler gab die Anweisung, an diesem Platz das Nachtlager aufzuschlagen.
Später, als Kaspers Bein in einer von Michael sorgfältig geschnitzten Schiene lag, einer Art engen Wanne, die Kasper jede Bewegung unmöglich machte, und die Wunde außerdem mit der Kräuterpaste frisch verbunden war, ging Jana noch einmal zur Quelle im Wald. Sie wollte sich noch die letzten Reste des Bluts aus ihren Röcken waschen. Es verwunderte sie nicht, Pfeiffer dort zu treffen, der sich ebenfalls säuberte. Er hatte sich bis auf die Hosen ausgezogen und hätte er Jana nicht zugewinkt, wäre sie augenblicklich wieder umgekehrt.
Er schlüpfte wieder in sein Hemd und trat zu ihr.
»Ihr habt eben gute Arbeit geleistet«, sagte er anerkennend, verschwunden war jede Ironie.
»Wir alle haben gute Arbeit geleistet«, verbesserte Jana ihn und reichte ihm das Tuch, das neben ihm am Boden lag. Damit rieb er sein nasses Haar trocken. Im untergehenden Licht der Frühsommersonne sah er ausgesprochen gut aus. Sie verlieh seinen scharfen Zügen eine Weichheit, die Jana gefiel, das rotblonde Haar leuchtete golden und die Sommersprossen auf der Nase und den Wangen traten deutlich hervor.
Nach einer Weile sagte Jana: »Ich nehme an, bei dieser Operation hättet Ihr das Muskelgift gerne eingesetzt.«
Ein Lächeln erschien auf Pfeiffers Gesicht und damit auch die zwei Grübchen auf den Wangen, die Jana so anziehend fand. Er wirkte entspannt.
Vielleicht würde er jetzt Janas Fragen beantworten, die ihr seit Stunden auf der Zunge brannten?
»Als ich vorhin in Eurer Satteltasche nach dem Sack mit den Instrumenten gesucht habe, stieß ich auf eine seltsame Schrift, einzelne Pergamentbögen mit ganz absonderlichen Illustrationen. Warum habt Ihr mir nicht davon erzählt?«
Pfeiffer wurde plötzlich kalkweiß. Jana fürchtete schon, er würde in Ohnmacht fallen, so wie Rosa gerade eben. Dann erkannte sie in seiner Miene Verlegenheit und Zorn, wobei sie nicht sagen konnte, welches Gefühl überwog.
»Ihr habt in meinen Dingen herumgeschnüffelt!«, sagte er heiser.
»Ihr habt mich darum gebeten. Die Instrumente waren ganz unten in Eurer Satteltasche. Ich musste das Buch meines Vaters herausholen und auch die seltsamen Pergamentseiten, um an den Ledersack zu gelangen«, erwiderte Jana empört. Es war kaum zu fassen, nun versuchte der Mann, ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben!
»Hat die seltsame Schrift etwas mit dem Buch meines Vaters zu tun?« Jana beobachtete das Gesicht des Arztes aufmerksam, so als könnte sie die Wahrheit aus seinen türkisblauen Augen lesen. »Habt Ihr bereits mehr herausgefunden, als Ihr mir verraten wollt, weil Ihr das Geheimnis allein enträtseln möchtet?«
Eine Pause entstand. Pfeiffer wich Janas Blick aus und betrachtete das feuchte Moos unter seinen Füßen. Sein unbeschwerter Gesichtsausdruck von vorhin war
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