Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
fassen.
»Kommt, setzt Euch unter den Baum in den Schatten«, sagte sie. »Bedrich, hol für Rosa einen Becher frisches Wasser!«
Sofort eilte der Wirt davon und kam wenig später mit einem ganzen Krug Wasser zurück. Er setzte sich zu der Frau ins Gras und kümmerte sich um sie.
Doktor Pfeiffer bat nun Michael, Rosas Stelle einzunehmen: »Bitte knie dich auf Kaspers Oberkörper und den Oberschenkel.«
»Glaubt Ihr wirklich, dass das notwendig ist?«, brummte Antonio ärgerlich.
»Ihr werdet es gleich sehen«, meinte Pfeiffer. Vorsichtig tastete er das Bein ab. Kasper stöhnte auf, konnte sich aber nicht rühren, da sechs starke Hände ihn festhielten und Michaels Gewicht auf seine Brust drückte.
»Ich glaube, dass er Glück hatte, beide Knochen sind bloß einmal gebrochen. Es scheint keine Absplitterungen zu geben, auch wenn ich das nicht mit letzter Sicherheit sagen kann«, flüsterte er. Dann wies er Jana an, ihm beim Einrenken zu helfen. Er zeigte ihr, wo sie ziehen sollte. Jana nickte, dann zählte Pfeiffer leise bis drei, und mit einem kräftigen Ruck zogen er und Jana das Bein auseinander. Sofort bäumte Kaspers Körper sich auf. Er versuchte laut zu schreien, aber das Holz im Mund hinderte ihn daran. Beinahe wäre er den drei Menschen, die ihn festhielten, aus den Händen gerutscht, so heftig versuchte er, sich zu befreien. Er warf den Kopf zurück und riss zuckend die Augen auf, von denen nur das Weiße zu sehen war. Auf seiner Stirn bildeten sich dicke Schweißtropfen.
Jana sah aus den Augenwinkeln, dass Rosa ihr Gesicht gegen Bedrichs Brust presste und sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt, während Bedrich ihr beruhigend über den Kopf streichelte.
Doktor Pfeiffer schienen die Schmerzen des Patienten nicht zu berühren. Unbeirrt arbeitete er weiter, griff mit den Fingern tief in die Wunde, so selbstverständlich, als nähme er ein totes Kaninchen aus, und schob die Knochen wieder zusammen.
»Die Stöcke«, sagte er zu Jana und deutete mit dem Kinn auf den Boden neben sich, ohne seinen Blick von der Wunde zu nehmen. Seine Hände waren blutverschmiert wie die eines Bauern, wenn er ein Tier schlachtete.
Jana begriff sofort. Sie legte je einen Ast an jede Seite des Beins, riss aus einem Stück Stoff lange Binden und befestigte damit die Äste am Bein, so dass der verletzte Körperteil stabil war.
»Ihr müsst den Stoff oben noch etwas fester schnüren, damit die Knochen sich nicht wieder verschieben«, sagte Pfeiffer. Auch auf seiner Stirn stand Schweiß, der ihm nun in die Augen tropfte. Er zwinkerte, aber ohne Erfolg, die Tropfen blieben in seinen langen, hellen Wimpern hängen. Seine Hand hatte er immer noch in der Wunde.
Jana folgte seiner Anweisung, und der Arzt nickte. Erst als Jana beide Binden fest verschnürt hatte, zog er vorsichtig seine Hand zurück. Nun schob er mit dem Handrücken die verschwitzten Haarsträhnen zur Seite und hinterließ auf der Stirn eine hellrote Blutspur. Er wusch seine Hände in dem heißen Wasser und holte Nadel und Faden aus dem Lederbeutel.
Jetzt ging alles sehr rasch. Mit geübten Handgriffen, so als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan, nähte er die Wunde Schicht für Schicht zusammen. Jana beobachtete fasziniert seine langen, feingliedrigen Finger, die kräftig und dennoch vorsichtig und präzise ihre Arbeit erledigten. Kurz bevor die Wunde fertig vernäht war, fiel Kasper endlich in eine erlösende Ohnmacht. Jana hätte es ihm schon viel früher gewünscht. Schlaff, leblos und verschwitzt lag sein Körper am Boden.
Auch die Helfer waren erschöpft. Erleichtert ließ Antonio den Oberarm des Jungen los; wo er ihn festgehalten hatte, waren tiefe dunkelrote Abdrucke zu sehen. Spätestens morgen würden sich die Flecken dunkelblau verfärben. Hätte der alte Südländer nur eine Spur fester gedrückt, wäre vielleicht auch dieser Knochen gebrochen.
Michael kletterte von Kaspers Brust und stand unsicher auf. Auch Ludwig ließ los. Alle wirkten erschöpft und ausgelaugt.
Jana beobachtete wortlos die Szene, dann lief sie zu ihrem Wagen. Dort hatte sie die Kräuter, die sie während der Reise gesammelt hatte, zum Trocknen aufgehängt. Zielsicher griff sie nach Beinwell, dessen Blätter noch nicht ganz getrocknet waren. Jana nahm eine Handvoll, zerkleinerte sie und gab sie in einen Topf, goss frisches Wasser dazu und trug es zur Feuerstelle. Mit der heißen Kräuterpaste eilte sie zurück zu Kasper.
In der Zwischenzeit hatte Doktor Pfeiffer
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