Das sündige Viertel
auf, ich trag sie raus in 'n Korridor und hol ihr Zeug … Wartet!«
Ächzend, aber dennoch mit für sein Alter erstaunlicher Leichtigkeit hob er Shenkas Leichnam an den Beinen an und warf ihn sich über die Schulter, den Kopf nach unten, als wäre es ein geschlachtetes Tier oder ein Sack mit Kartoffeln.
Im Korridor war es etwas heller, und als der Wächter seine schreckliche Last auf dem Fußboden ablegte, barg Tamara einen Augenblick ihr Gesicht in den Händen, und Manka wandte sich ab und weinte.
»Wenn Sie was brauchen, müssen Sie's sagen«, klärte der Wärter sie auf. »Wenn Sie die Tote richtig einkleiden möchten – wir können alles besorgen, was nötig ist: Brokat, Kopfkranz, Heiligenbildchen, Totenhemd, Musselin – wir führen alles … Kleider können Sie auch kaufen. Schuhe auch …«
Tamara gab ihm Geld und trat hinaus an die frische Luft, Manka den Vortritt lassend.
Etwas später wurden zwei Kränze gebracht: einer von Tamara, aus Astern und Georginen, mit schwarzer Schrift auf weißem Band: »Für Shenja von ihrer Freundin«, der andere war von Rjasanow, ganz aus roten Blumen; auf seinem roten Band stand mit goldenen Lettern: »Durch Leiden geläutert«. Er schickte auch ein paar Zeilen, mit denen er sein Beileid aussprach und sich entschuldigte, daß er nicht kommen könne, da er eine wichtige Besprechung habe.
Später erschienen die von Tamara bestellten Sänger, fünfzehn Männer aus dem besten Chor der Stadt.
Der Dirigent, in grauem Mantel und grauem Hut, so daß er insgesamt irgendwie grau und verstaubt wirkte, aber mit militärisch geradem, langem Schnurrbart, erkannte Verka, machte große erstaunte Augen, lächelte flüchtig und zwinkerte ihr zu. Zwei-, dreimal im Monat, zuweilen auch öfter, besuchte er gemeinsam mit anderen Mitgliedern der geistlichen Akademie, mit Dirigenten, wie er selbst einer war, und mit Psalmenlesern die Kutschergasse, und wenn sie alle Etablissements inspiziert hatten, landeten sie zum Schluß gewöhnlich bei Anna Markowna, wo er sich stets Verka erwählte.
Er war ein heiterer, lebhafter Mensch, tanzte wie toll und vollführte beim Tanzen solche Figuren, daß alle Anwesenden sich vor Lachen ausschütten wollten.
Nach den Sängern kam der von Tamara gemietete Leichenwagen, zweispännig, schwarz mit weißem Federschmuck, und dazu fünf Fackelträger. Diese brachten auch einen glänzendweißen Sarg mit sowie ein Podest dafür, mit schwarzem Kaliko bezogen. Ohne Eile, mit geübten Handgriffen, legten sie die Verstorbene in den Sarg, bedeckten ihr Gesicht mit dem durchsichtigen Musselintuch, verhüllten den Leichnam mit Brokat und zündeten Kerzen an: eine am Kopfende, zwei zu ihren Füßen.
Jetzt, beim flackernden gelben Kerzenlicht, war Shenkas Gesicht deutlicher zu erkennen. Die blaue Farbe war fast verschwunden, es blieben nur an den Schläfen, auf der Nase und zwischen den Augen ein paar unregelmäßig geschlängelte bunte Flecken. Zwischen den geöffneten dunklen Lippen schimmerte zart das Weiß der Zähne, und auch die Zungenspitze war noch zu sehen. Im offenen Kragenausschnitt sah man am Hals, der die Farbe vergilbten Pergaments angenommen hatte, zwei Streifen: einen dunklen – die Spur der Schlinge, und einen roten – die Kratzspur, die Simeon beim Handgemenge hinterlassen hatte. Es waren gleichsam zwei schreckliche Halsketten. Tamara trat hinzu und steckte den Spitzenkragen unterm Kinn mit einer Nadel zusammen.
Dann kam die Geistlichkeit: ein kleiner grauhaariger Priester mit Goldrandbrille und Skuphos; ein großer, spärlich behaarter Diakon mit kränklichem, sonderbar dunklem und gelbem Gesicht, wie aus Terrakotta; und ein zappeliger Psalmenleser mit langen Rockschößen, der im Gehen seinen Bekannten aus dem Chor lebhafte, lustige und geheimnisvolle Zeichen machte.
Tamara ging zu dem Priester.
»Hochwürden«, fragte sie, »werden Sie die Totenmesse für alle zusammen lesen oder einzeln?«
»Für alle zusammen«, antwortete der Priester, während er das Epitrachilion küßte und Bart und Haare wieder daraus befreite. »Das ist so üblich. Aber auf besonderen Wunsch oder besondere Vereinbarung geht es auch einzeln. Welchen Todes ist die Verblichene gestorben?«
»Sie ist eine Selbstmörderin, Hochwürden.«
»Hm … eine Selbstmörderin? … Wissen Sie auch, junge Frau, daß die Gesetze der Kirche es verbieten, Selbstmördern die Messe zu lesen? Gewiß, es gibt Ausnahmen – auf speziellen Antrag …«
»Hier, Hochwürden, habe ich eine
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