Das sündige Viertel
Langschaftstiefeln, dem immer ein hölzerner Zollstock aus der Seitentasche ragte. Ganze Tage und Abende verbrachte er als Stammgast in Billardstuben oder Kneipen, ewig angeheitert, mit Späßen, Verslein und Sprüchen um sich werfend, auf bestem Fuße mit allen Portiers, Verwalterinnen und Dirnen. Alle in den Häusern – von der Chefin bis zum Dienstmädchen – begegneten ihm mit geringschätzigem, eine Spur verächtlichem, aber gutmütigem Spott. Zuweilen war er auch von Nutzen: er überbrachte Briefchen von den Mädchen an ihre Liebhaber, er konnte auf den Markt oder in die Apotheke laufen. Da er über ein loses Mundwerk verfügte und seine Selbstachtung schon längst erloschen war, verschaffte er sich oft genug Einlaß in eine fremde Gesellschaft und vergrößerte deren Ausgaben, und das Geld, das er sich bei dieser Gelegenheit borgte, legte er nicht zurück, sondern gab es auf der Stelle für Frauen aus – höchstens daß er sich einmal ein paar Kopeken für Zigaretten reservierte. Und aus Gutmütigkeit und Gewohnheit duldete man ihn.
»Da kommt Wanka Stehauf«, verkündete Njura, als der den Portier Simeon bereits freundschaftlich mit Handschlag begrüßt hatte und an der Saaltür stehenblieb – hochgewachsen, die Uniformmütze verwegen schief auf dem Ohr. »Hallo, Wanka Stehauf, komm rein!«
»Habe die Ehre, mich vorzustellen«, röhrte Wanka Stehauf sofort grimassenschneidend los und legte militärisch die Hand an den Mützenschirm. »Geheimer Ehrengast der lokalen Wohltätigkeitsetablissements, Fürst Flasche, Graf Korken, Baron Pfuiteuflewitsch-Ekelkowski. Herr Beethoven! Herr Chopin!« begrüßte er die Musiker. »Spielen Sie mir was aus der Oper ›Der tapfere und ruhmreiche General Anissimow oder Das Tohuwabohu im Korridor‹. Dem Politmamsellchen Sossja meine Verehrung. Aha! Geküßt wird bei Ihnen nur zu Ostern? Werd's mir notieren. Huhu, Tamarotschka, grüß dich, mein Mausepüppchen!«
So machte er die Runde bei allen Mädchen, immer scherzend, hier und da eine kneifend, endlich setzte er sich neben die dicke Katja, die eines ihrer dicken Beine über sein Bein legte, sich mit dem Ellenbogen auf ihr Knie stützte, das Kinn in die Hand legte und starren Blickes zusah, wie der Landvermesser sich eine Zigarette drehte.
»Daß dir das nicht über wird, Wanka Stehauf! Immerzu drehst du deine Stäbchen.«
Wanka Stehauf setzte unverzüglich Brauen und Kopfhaut in Bewegung und deklamierte:
»Zigarettchen, liebes, rundes,
Heimlich gilt dir meine Gunst.
Nicht per Zufall lassen munden
Alle sich den blauen Dunst.«
»Ach, Wanka Stehauf, du krepierst ja doch bald«, sagte Katka gleichmütig.
»Na und?«
»Wanka Stehauf, sag noch ein paar lustige Verse auf«, bat Verka.
Sofort nahm er gehorsam eine ulkige Positur ein und deklamierte wieder:
»Sterne stehen hoch am Himmel,
Keiner hat sie je gezählt.
Wenn der Wind auch andres flüstert,
Weiß ich doch, daß es nicht geht.
Knospen springen auf am Strauch,
Vögel, Hähne singen auch.«
Auf diese Weise seine Späße treibend, verbrachte Wanka Stehauf ganze Abende und Nächte in den Räumen des Etablissements. Die Mädchen hegten ein eigenartiges herzliches Wohlwollen für ihn und betrachteten ihn fast als ihresgleichen; manchmal erwiesen sie ihm kleine Dienste und bestellten sogar auf ihre Rechnung für ihn Bier und Wodka.
Einige Zeit nach Wanka Stehauf kam ein großer Trupp Friseure, die an diesem Tag arbeitsfrei hatten. Sie waren laut und ausgelassen, doch sogar hier im Bordell setzten sie ihre kleinlichen Erwägungen und Gespräche fort, über öffentliche und geschlossene Benefizvorstellungen, über ihre Chefs und deren Frauen. Es waren alles ziemlich liederliche Leute, Schwindler auch, mit hochgeschraubten Erwartungen an die Zukunft, etwa in der Art, später einmal von einer Gräfin ausgehalten zu werden. Ihr recht hart erarbeitetes Geld wollten sie so gut wie möglich anlegen, und deshalb hatten sie sich vorgenommen, durchweg alle Häuser des Viertels zu inspizieren, nur zu Tröppel wagten sie sich nicht, denn dort war es ihnen zu vornehm. Bei Anna Markowna jedoch bestellten sie sich gleich eine Quadrille und tanzten sie, besonders die fünfte Figur, wo die Herren ein Solo haben, ganz wie echte Pariser, sogar mit den Daumen in den Westenachseln. Doch mit den Mädchen zusammenbleiben wollten sie nicht, sie versprachen aber wiederzukehren, wenn sie ihre Bordellinspektion beendet hätten.
Außerdem kamen und gingen Beamte, kraushaarige junge
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