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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Männer in Lackstiefeln, einige Studenten und einige Offiziere, die schrecklich besorgt waren, sie könnten in den Augen der Besitzerin und der Gäste des öffentlichen Hauses ihre Würde einbüßen. Nach und nach wurde es im Saal so laut und verqualmt, daß sich schon niemand mehr unsicher fühlte. Es kam noch ein Stammgast, der Liebhaber von Sonka Ruderblatt, der fast täglich erschien und stundenlang neben seiner Geliebten saß, sie mit schmachtenden östlichen Augen ansah, seufzte, vor Gram verging und ihr Szenen machte, weil sie in einem Freudenhaus lebte, weil sie sich gegen den Sabbat versündigte, treifenes Fleisch aß und sich von ihrer Familie und der großen jüdischen Gemeinde losgesagt hatte.
    Gewöhnlich – und das kam häufig vor – trat die Verwalterin Sossja inmitten des Trubels an ihn heran und sagte, die Lippen verziehend: »Nun, was sitzen Sie so herum, mein Herr? Wollen Sie sich den Hintern wärmen? Sie sollten sich lieber mit dem Mädchen abgeben.«
    Die beiden, Jude und Jüdin, stammten aus Gomel und waren offenbar vom Herrgott selbst für eine zärtliche und leidenschaftliche Liebe zueinander geschaffen, doch durch vielerlei Umstände, zum Beispiel durch den Pogrom in ihrer Heimatstadt, durch die Verarmung, die Angst und völlige Verwirrung, hatten sie sich eine Zeitlang aus den Augen verloren. Die Liebe aber war so groß, daß der Apothekerlehrling Neumann sich unter großen Mühen und Demütigungen eine Lehrstelle in einer der Apotheken am Ort suchte und das geliebte Mädchen ausfindig machte. Er war ein strenggläubiger, beinahe fanatischer Jude. Er wußte, daß Sonka von ihrer eigenen Mutter an einen Menschenhändler verkauft worden war, er kannte viele erniedrigende, scheußliche Einzelheiten, wie sie im Weiterverkauf von Hand zu Hand gegangen war, und seine fromme, empfindliche, wahrhaft jüdische Seele krümmte sich und erbebte bei dem Gedanken daran, doch dessenungeachtet stand für ihn die Liebe über allem. Und jeden Abend erschien er in Anna Markownas Saal. Sofern es ihm gelang, unter großen Entbehrungen einen Rubel von seinem schäbigen Verdienst abzuzweigen, führte er Sonka in ihr Zimmer, doch das war durchaus keine reine Freude, weder für ihn noch für sie: nach kurzen Augenblicken des Glücks – der gegenseitigen körperlichen Inbesitznahme – weinten sie, beschuldigten einander, stritten sich mit theatralischen Gesten, wie sie für Juden charakteristisch sind, und immer nach diesen Besuchen kehrte Sonka Ruderblatt mit geschwollenen, geröteten Augenlidern in den Saal zurück.
    Doch meistens hatte er kein Geld und saß ganze Abende lang neben seiner Geliebten, geduldig und eifersüchtig wartend, wenn zufällig ein anderer Gast Sonka wählte. Wenn sie zurückkam und sich wieder neben ihn setzte, überschüttete er sie fortwährend mit Vorwürfen, verstohlen darauf bedacht, nicht die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und ohne ihr den Kopf zuzuwenden. Und in ihren schönen, feuchten jüdischen Augen lag während dieser Gespräche stets etwas Gequältes und dennoch Demütiges.
    Eine große Gruppe Deutscher kam vorgefahren, alles Angestellte in einem Optikerladen, dann fuhr ein Trupp Kommis aus dem Fisch- und Feinkostgeschäft von Kereschkowski vor, und es kamen auch zwei junge Leute, die im Viertel sehr bekannt waren, beide kahlköpfig, mit schütterem weichem Haar rings um die Glatze: Kolka, der Buchhalter, und Mischka, der Sänger, so wurden die beiden in den Häusern genannt. Und ebenso wie Karl Karlowitsch aus dem Optikerladen und Wolodka aus dem Fischgeschäft empfing man die beiden sehr erfreut, mit Begeisterung, mit Ausrufen und Küssen, was ihrer Eitelkeit schmeichelte. Die flinke Njurka schlüpfte in die Diele, und wenn sie wußte, wer gekommen war, verkündete sie eifrig, wie es ihre Art war: »Shenka, dein Mann ist gekommen!« oder: »Kleine Manka, dein Liebster ist da!«
    Und Mischka, der Sänger, der durchaus kein Sänger war, sondern Besitzer eines Pharmazielagers, sang gleich beim Eintreten mit vibrierender, überschnappender Meckerstimme:
    »Sie aaahnen die Waaahrheit.
Morgenrooot, steig bald am Himmel auf!« [2]
    was er bei jedem seiner Besuche in Anna Markownas Haus tat.
    Nahezu pausenlos wurden Quadrille, Walzer, Polka gespielt und getanzt. Gekommen war auch Senka, Tamaras Freund, doch entgegen seiner Gewohnheit gab er nicht an, schwang nicht das große Wort, bestellte keinen Trauermarsch bei Issai Sawwitsch und kaufte den Mädchen keine

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