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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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roten Pausbacken, die an einen geschminkten Amor erinnerten, seine feuchten, glänzenden, gutmütigen Augen, seine flinke, sich verhaspelnde Redeweise und sein kreischendes Lachen.
    Die Kommilitonen kamen nie dahinter, woher er die Zeit für wissenschaftliches Arbeiten nahm, doch dessenungeachtet bestand er alle Prüfungen und Belegarbeiten mit Auszeichnung, und die Professoren hatten vom ersten Studienjahr an ein Auge auf ihn gehabt. Jetzt zog sich Jartschenko ganz allmählich von den früheren Gefährten und Zechkumpanen zurück. Er hatte gerade erst die unumgänglichen Kontakte zu Professorenkreisen geknüpft, fürs nächste Jahr war ihm vorgeschlagen worden, Vorlesungen über römische Geschichte zu halten, und nicht selten gebrauchte er im Gespräch bereits die unter Privatdozenten übliche Wendung »Wir Wissenschaftler«. Studentische Familiarität, obligatorische Geselligkeit, unbedingte Teilnahme an allen Meetings, Protestaktionen und Demonstrationen wurden für ihn unvorteilhaft, beschwerlich und sogar einfach langweilig. Doch er kannte den Preis für Popularität bei der Jugend, und deshalb war er nicht gewillt, abrupt mit seinem früheren Kreis zu brechen. Lichonins Worte allerdings hatten ihn getroffen.
    »Ach du mein Gott, was haben wir nicht alles gemacht, als wir noch grüne Jungs waren! Zucker stibitzt, die Hosen bekleckert, Käfern die Flügel ausgerissen«, sagte Jartschenko, sich ereifernd und überstürzend. »Aber alles hat sein Maß und seine Grenzen. Natürlich werde ich mich hüten, Ihnen Ratschläge zu geben, meine Herren, und Sie zu belehren, aber man muß schließlich konsequent sein. Wir stimmen alle darin überein, daß die Prostitution eines der größten Menschheitsübel ist, und wir stimmen auch darin überein, daß an diesem Übel nicht die Frauen schuld sind, sondern wir Männer, denn Nachfrage gebiert Angebot. Folglich, wenn ich, nach einem Glas Wein zuviel, entgegen meinen Überzeugungen trotz allem zu den Prostituierten fahre, so begehe ich eine dreifache Gemeinheit: gegenüber einer dummen, unglücklichen Frau, die ich für meinen dreckigen Rubel der erniedrigendsten Form der Sklaverei unterwerfe, gegenüber der Menschheit, weil ich, wenn ich auf ein oder zwei Stunden ein Freudenmädchen für meine ekelhafte Gier miete, damit die Prostitution rechtfertige und unterstütze, und letztendlich ist es auch eine Gemeinheit gegenüber meinem eigenen Wissen und Gewissen. Und gegenüber der Logik.«
    »Hui!« Lichonin stieß einen langgezogenen Pfiff aus und plapperte dann gelangweilten Tones, mit dem seitwärts geneigten Kopf im Takt nickend: »Unser Philosoph erzählt wieder mal den üblichen Unsinn: Die Schlinge ist ein einfacher Kreis.«
    »Je nun, nichts ist leichter, als herumzualbern«, entgegnete Jartschenko trocken. »Ich aber meine, im traurigen russischen Leben gibt es keine traurigere Erscheinung als diese Labilität und Prinzipienlosigkeit des Denkens. Heute sagen wir uns: ›Ach! Ganz gleich, ob ich ein Freudenhaus aufsuche oder nicht – von einem Mal wird die Sache weder schlimmer noch besser.‹ Und in fünf Jahren werden wir sagen: ›Zweifellos sind Bestechungsgelder eine fürchterliche Niederträchtigkeit, aber versteht doch, die Kinder … die Familie …‹ Und genauso werden wir in zehn Jahren, immer noch als wohlsituierte russische Liberale, die Freiheit der Persönlichkeit beseufzen und uns vor Schurken, die wir verachten, bis zur Erde verneigen und in ihren Vorzimmern herumlungern. ›Weil man nämlich mit den Wölfen heulen muß‹, sagen wir dann kichernd. Bei Gott, nicht von ungefähr hat ein Minister die russischen Studenten einmal künftige Amtsvorsteher genannt!«
    »Oder künftige Professoren«, warf Lichonin ein.
    »Aber die Hauptsache«, fuhr Jartschenko fort, die spitze Bemerkung überhörend, »die Hauptsache ist, daß ich euch heute auf dem Fluß erlebt habe und später dort am anderen Ufer, mit diesen lieben, anständigen jungen Mädchen. Wie wart ihr aufmerksam und nett und beflissen, aber kaum habt ihr euch von ihnen verabschiedet, zieht es euch schon zu den Dirnen. Soll sich doch jeder von euch einen Augenblick vorstellen, wir wären alle bei seinen Schwestern zu Besuch gewesen und führen von dort direkt ins Viertel … Na? Wie gefällt euch dieser Vorschlag?«
    »Ja, aber es muß doch ein Ventil für die Begierden des Menschen geben!« bemerkte Boris Sobaschnikow ernsthaft. Er war ein großer, etwas überheblicher und manierierter junger Mann,

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