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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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in Kalksteinhöhlen ruhten, ihren Gruß zu entbieten. Man stelle sich nur vor: Jeden Tag bot das Kloster vierzigtausend Menschen Unterkunft und etwas Verpflegung, und diejenigen, für die der Platz nicht ausreichte, lagerten des Nachts einfach nebeneinandergeschichtet, wie gefällte Bäume, in den geräumigen Höfen und auf den Straßen der Lawra.
    Es war ein sagenhafter Sommer. Die Bevölkerung der Stadt vermehrte sich fast auf das Dreifache durch allerlei Zugereiste. Maurer, Zimmerleute, Maler, Ingenieure, Techniker, Ausländer, Landwirte, Makler, dunkle Geschäftemacher, Flußschiffer, arbeitsscheue Bummler, Touristen, Diebe, Falschspieler – sie alle übervölkerten die Stadt, und in keinem Hotel, nicht einmal im schmutzigsten, zweifelhaftesten, gab es ein freies Zimmer. Für Wohnungen wurden Wahnsinnspreise gezahlt. An der Börse wurde in einem Ausmaß spekuliert wie nie zuvor und auch später nie wieder. Das Geld floß in Millionenströmen von einer Hand in die andere und von dort in eine dritte. In nur einer Stunde entstand kolossaler Reichtum, doch dafür gingen viele frühere Firmen bankrott, und ehemals Reiche wurden zu Bettlern. Einfachste Arbeiter badeten in diesem Goldstrom und wärmten sich darin. Manche Transportarbeiter vom Hafen, Lastfuhrleute, Karrenmänner, Handlanger vom Bau und Schipper erinnern sich noch jetzt daran, wieviel Geld sie in jenem verrückten Sommer täglich verdienten. Jeder beliebige Lumpenproletarier erhielt beim Entladen von Wassermelonen aus Schleppkähnen nicht weniger als vier, fünf Rubel täglich. Und diese ganze lärmende fremde Bande, vom leichtverdienten Geld berauscht, trunken auch durch die sinnliche Schönheit der wunderbaren alten Stadt, bezaubert durch die wollüstige Wärme der südlichen Nächte, die das verführerische Aroma der weißen Akazien tränkte – diese Hunderttausende unersättlicher wilder Tiere in Männergestalt riefen mit geballter Wucht: »Eine Frau her!«
    Im Laufe eines einzigen Monats entstanden in der Stadt einige Dutzend neuer Vergnügungsetablissements – elegante Tivolis, Châteaux-de-Fleurs, Olympias, Alkazars und so weiter, mit Chor und Operette, viele Restaurants und Bierstuben mit Sommergärten und einfache Kneipen in der Nähe der Hafenbaustelle. Tagaus, tagein wurden an jeder Straßenkreuzung »Veilchenetablissements« aufgeschlagen – kleine Bretterbuden, wo unter dem Vorwand des Kwaßverkaufs zwei oder drei alte Nutten hinter einer dünnen hölzernen Trennwand sich selbst feilboten, und vielen Müttern und Vätern ist dieser Sommer in schlimmer Erinnerung durch die peinlichen Krankheiten ihrer Gymnasiasten- und Kadettensöhne. Für die zugereisten Gelegenheitsgäste wurde Dienstpersonal benötigt, und Tausende von Bauernmädchen zogen aus den umliegenden Dörfern in die Stadt. Es war unvermeidlich, daß die Nachfrage nach Prostitution außerordentlich stieg. Und so reisten sie aus Warschau, Lodz, Odessa, Moskau und sogar aus Petersburg, ja sogar aus dem Ausland an – eine unübersehbare Menge von Ausländerinnen, russischen Kokotten, ganz gewöhnlichen Prostituierten und auch eleganten Französinnen und Wienerinnen. Der verderbliche Einfluß Hunderter Millionen wohlfeilen Geldes wirkte sich gewaltig aus. Es war, als überflute der Goldregen die ganze Stadt, zöge sie in seinen Strudel und ertränke sie. Die Zahl der Diebstähle und Morde wuchs mit erschütternder Schnelligkeit an. Die Polizei, in verstärktem Maße aufgeboten, mühte sich vergeblich. Doch später, durch reichliche Bestechungsgelder besänftigt, begann sie einer satten Riesenschlange zu ähneln, die unwillkürlich schläfrig und träge wird. Menschen wurden für nichts und wieder nichts umgebracht, einfach so. Es kam vor, daß am hellichten Tag auf einer unbelebten Straße jemand an einen Menschen herantrat und fragte: »Wie heißt du?« – »Fjodorow.« – »Aha, Fjodorow? Na dann!« Und man stieß ihm ein Messer in den Leib. Deshalb wurden diese Mutwilligen in der Stadt auch »Messerstecher« genannt, und es waren Namen darunter, auf die die Stadtchronik geradezu stolz zu sein schien: die beiden Brüder Polistschuk (Mitka und Dundas), Wolodka der Grieche, Fjodor Miller, Kapitän Dmitrijew, Siwocho, Dobrowolski, Spatschek und viele andere.
    Und Tag und Nacht wogte und lärmte auf den Hauptstraßen der toll gewordenen Stadt eine Menschenmenge, als wäre Feuer ausgebrochen. Es läßt sich fast nicht beschreiben, was damals im Viertel los war. Obwohl die Chefinnen

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