Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
Vom Netzwerk:
die Zahl ihrer Angestellten mehr als verdoppelt und die Preise auf das Dreifache erhöht hatten, waren die armen Mädchen ganz von Sinnen und kamen nicht nach, die Ansprüche des wilden, betrunkenen Publikums zu befriedigen, das mit Geld um sich warf wie mit Sägespänen. Es passierte, daß im überfüllten Saal, wo es eng war wie auf einem Basar, auf jedes Mädchen sieben, acht, manchmal sogar zehn Kunden warteten. Es war in der Tat eine verrückte, rauschhafte, eine wüste Zeit!
    Und damit begannen denn auch all die Mißgeschicke des Viertels , die zu seinem Untergang führten. Und zusammen mit dem Viertel ging auch das uns bekannte Haus der dicken, blaßäugigen alten Anna Markowna unter.

2
    Der Personenzug eilte munter nordwärts durch goldene Kornfelder und herrliche Eichenwälder, er donnerte auf stählernen Brücken über klare Flüsse und ließ wirbelnde Rauchschwaden hinter sich zurück.
    Im Coupé der zweiten Klasse herrschte sogar bei geöffnetem Fenster drückende Schwüle und Hitze. Der Geruch von schwefligem Rauch reizte die Kehle. Die Reisenden waren ganz erschöpft vom Rütteln des Zuges und von der Hitze, mit Ausnahme eines quicklebendigen, energischen Juden in feiner Kleidung, der höflich, umgänglich und gesprächig war. Er reiste mit einer jungen Frau zusammen, und besonders ihr sah man auf den ersten Blick an, daß sie jungverheiratet waren – so häufig flammte ihr Gesicht urplötzlich rot auf bei jeder, selbst der kleinsten, Zärtlichkeit ihres Mannes. Und wenn sie die Wimpern hob, um ihn anzusehen, dann glänzten ihre Augen wie Sterne und wurden feucht. Ihr Gesicht war so schön, wie es nur die Gesichter verliebter jüdischer junger Mädchen sind – zart-rosig, mit roten Lippen von unschuldigem Schmelz, und die Augen so schwarz, daß die Pupille nicht von der Iris zu unterscheiden war.
    Ohne Rücksicht auf die Gegenwart dreier fremder Menschen überhäufte er seine Begleiterin alle Augenblicke mit Zärtlichkeiten, und zwar mit ziemlich groben, muß man schon sagen. Mit der Ungeniertheit des Besitzers, mit jenem speziellen Egoismus eines Verliebten, der der ganzen Welt zu sagen scheint: »Seht nur, wie glücklich wir sind – das macht doch auch euch glücklich, nicht wahr?«, streichelte er entweder ihr Bein, das sich geschmeidig und plastisch unterm Kleid abzeichnete, oder er kniff sie in die Wange oder kitzelte zuweilen auch ihren Hals mit seinem nach oben gezwirbelten, harten schwarzen Schnurrbart. Doch obwohl er vor Begeisterung sprühte, lag dennoch ein Hauch von Unruhe, etwas Raubtierhaftes, Argwöhnisches in seinen häufig zwinkernden Augen, im Zucken seiner Oberlippe und im kantigen Schnitt seines vorspringenden, glattrasierten quadratischen Kinnes mit dem kaum spürbaren Knick in der Mitte.
    Gegenüber von diesem Liebespaar saßen drei Reisende: ein General a. D., ein hageres, adrettes altes Männlein mit Pomade im Haar und nach vorn gekämmten Koteletten; ein dicker Gutsbesitzer, der seinen gestärkten Kragen abgenommen hatte und trotzdem noch vor Hitze schnaufte und immer wieder sein nasses Gesicht mit einem nassen Tuch abwischte; und schließlich ein junger Infanterieoffizier. Das ständige Gerede von Semjon Jakowlewitsch (der junge Ehemann hatte seinen Nachbarn bereits mitgeteilt, daß er Semjon Jakowlewitsch Horizont heiße) war den Mitreisenden etwas lästig, so wie das Summen einer Fliege, die an heißen Sommertagen in immer gleichem Rhythmus gegen das geschlossene Fenster eines schwülen Zimmers schlägt. Doch trotzdem gelang es ihm, die Stimmung zu heben: Er zeigte Zauberkunststückchen, erzählte jiddische Anekdoten voll eigentümlichen feinen Humors. Als seine Frau auf die Plattform hinausging, um frische Luft zu schnappen, erzählte er Sachen, bei denen der General genußvoll lächelte, der Gutsbesitzer wieherte, daß sein Schwarzerde-Wanst wogte, und der Leutnant, dieses bartlose Jüngelchen, das erst vor einem Jahr aus der Offiziersschule entlassen worden war, Lachen und Neugier kaum verbergen konnte und sich abwandte, damit die anderen nicht sahen, wie er errötete.
    Die junge Frau war mit rührender, naiver Aufmerksamkeit um Horizont besorgt: Sie wischte ihm das Gesicht mit einem Tuch, fächelte ihm Kühlung zu, rückte immer wieder seine Krawatte zurecht. Sein Gesicht wurde dann jedesmal spöttisch-hochmütig und dümmlich-selbstzufrieden.
    »Gestatten Sie eine Frage«, sagte der hagere General mit höflichem Hüsteln. »Gestatten Sie die Frage, Verehrtester, was

Weitere Kostenlose Bücher