Das sündige Viertel
Szene mit angespannter Aufmerksamkeit verfolgte, das wunderbare warme Licht vergessen, das in diesem Moment in den ägyptisch länglichen grünen Augen der Künstlerin erstrahlte.
Die Gesellschaft entfernte sich niedergeschlagen, nur Rjasanow blieb noch einen Augenblick zurück.
Er trat zu Tamara, küßte ihr sanft und ehrerbietig die Hand und sagte: »Wenn Sie können, verzeihen Sie uns … Das wird gewiß nicht wieder vorkommen. Doch wenn Sie mich irgendwann einmal brauchen, dann sollen Sie wissen, daß ich Ihnen immer zu Diensten stehe. Hier ist meine Visitenkarte. Lassen Sie sie nicht offen liegen, aber seien Sie versichert, daß ich vom heutigen Abend an Ihr Freund bin.«
Und nachdem er noch einmal Tamaras Hand geküßt hatte, stieg er als letzter die Treppe hinunter.
8
Am Donnerstag regnete es vom frühen Morgen an ununterbrochen, und das Laub der Kastanien, Akazien und Pappeln sah gleich wieder grün und frisch aus. Eine träumerisch stille und träg-triste Stimmung breitete sich auf einmal aus. Eintönig und voller Nachdenklichkeit.
Zu dieser Zeit versammelten sich alle Mädchen wie üblich in Shenkas Zimmer. Doch mit dieser ging etwas Seltsames vor. Sie lachte nicht, machte keine spitzen Bemerkungen, sie las auch nicht, wie sonst, ihren Boulevardroman, der jetzt unberührt auf ihrer Brust oder ihrem Leib lag. Sie wirkte böse, kummervoll in sich gekehrt, und in ihren Augen glomm ein gelbes Licht, das von Haß kündete. Vergeblich versuchte die Blonde Manka, die Skandal-Manka, die Shenka vergötterte, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – Shenka schien sie nicht zu beachten, und es kam einfach kein Gespräch zustande. Die Stimmung war gedrückt. Mag auch sein, sie alle deprimierte der monotone Augustregen, der mehrere Wochen anhalten sollte.
Tamara setzte sich zu Shenka aufs Bett, umarmte sie liebevoll, näherte ihren Mund Shenkas Ohr und flüsterte: »Was ist mit dir, Shenetschka? Ich sehe schon lange, daß mit dir etwas Sonderbares vorgeht. Und Manka fühlt das auch. Sieh nur, wie sie sich quält ohne deine Zärtlichkeit. Sag es doch. Vielleicht kann ich dir irgendwie helfen?«
Shenka schloß die Augen und schüttelte verneinend den Kopf. Tamara rückte ein Stück von ihr ab, fuhr aber fort, ihr freundlich die Schulter zu streicheln.
»Wie du willst, Shenetschka. Ich kann dich nicht zwingen. Ich habe nur deshalb gefragt, weil du der einzige Mensch bist, der …«
Plötzlich sprang Shenka entschlossen vom Bett auf, packte Tamara am Arm und sagte hastig und befehlend: »Gut! Komm einen Moment mit raus. Ich sage dir alles. Wartet ein bißchen, Mädels.«
Im hellen Korridor legte Shenka der Freundin die Hände auf die Schultern und sagte, urplötzlich blaß und entstellt im Gesicht: »Also höre: Jemand hat mich mit Syphilis angesteckt.«
»Ach, du meine Liebe, du Arme! Schon lange?«
»Schon lange. Weißt du noch, wie die Studenten bei uns waren? Der eine fing mit Platonow Streit an? Damals habe ich's zum erstenmal gemerkt. An diesem Tag habe ich's entdeckt.«
»Weißt du«, sagte Tamara leise, »ich konnte mir das beinahe denken. Besonders damals, als du vor der Sängerin gekniet und leise mit ihr geredet hast. Aber trotzdem, Shenetschka, Liebes, du mußt dich behandeln lassen.«
Shenka stampfte zornig mit dem Fuß auf und zerriß das Batisttüchlein, das sie nervös in den Händen geknüllt hatte.
»Nein! Auf gar keinen Fall! Von euch stecke ich keine an. Du hast doch selbst bemerkt, daß ich in den letzten Wochen nicht mit euch zusammen am Tisch esse und mein Geschirr selbst abwasche und abtrockne. Aus demselben Grund halte ich auch Manka von mir fern, die ich, das weißt du selber, echt und innig liebe. Aber diese zweibeinigen Ungeheuer stecke ich absichtlich an, jeden Abend zehn oder sogar fünfzehn. Sie sollen verfaulen, sie sollen die Syphilis übertragen, auf ihre Frauen, ihre Geliebten, ihre Mütter, ja, ja, auch auf die Mütter, und auf die Väter und auf die Gouvernanten und meinetwegen sogar auf ihre Urgroßmütter. Alle sollen sie umkommen, die ehrbaren Ungeheuer!«
Tamara strich Shenka behutsam und zärtlich über den Kopf.
»Willst du wirklich bis zum Äußersten gehen, Shenetschka?«
»Ja. Und zwar ohne Gnade. Aber ihr braucht wirklich nichts zu befürchten. Ich suche mir die Männer selbst aus. Die dümmsten, die hübschesten, die reichsten und die hochmütigsten, aber ich lasse sie danach an keine von euch ran. Oh, ich spiele ihnen solche Leidenschaft vor, daß du
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