Das sündige Viertel
lachen würdest, wenn du es sähest. Ich beiße und kratze sie, ich schreie und zittere wie eine Verrückte. Die glauben das, die Dummen.«
»Du mußt es selber wissen, Shenetschka«, sagte Tamara nachdenklich, den Blick zu Boden gerichtet. »Vielleicht hast du recht. Wer weiß? Aber sag, wie bist du um den Doktor herumgekommen?«
Shenka wandte sich plötzlich ab, preßte ihr Gesicht an die Fensterscheibe und brach auf einmal in Tränen aus – heiße, brennende Tränen zornigen Rachedurstes, und gleichzeitig sprach sie schluchzend und bebend: »Weil … weil … Weil Gott mir ein besonderes Glück beschert hat: Ich habe Schmerzen an einer Stelle, wo der Doktor vermutlich niemals hinschaut. Und unserer ist außerdem alt und dumm …«
Und ebenso plötzlich, wie sie in Tränen ausgebrochen war, bezwang Shenka mit übergroßer Anstrengung ihr Weinen.
»Laß uns wieder hineingehen, Tamarotschka«, sagte sie, »du wirst natürlich nichts ausplaudern?«
»Gewiß nicht.«
Sie kehrten in Shenkas Zimmer zurück, beide still und beherrscht.
Simeon kam ins Zimmer. Entgegen seiner angeborenen Dreistigkeit begegnete er Shenka stets mit einer Spur Hochachtung. Er sagte: »Also ja, Shenetschka, da ist für Wanda Seine Hochwohlgeboren gekommen. Lassen Sie sie für zehn Minuten gehen.«
Wanda, eine blauäugige helle Blondine mit großem rotem Mund, mit dem typischen Gesicht einer Litauerin, sah Shenka bittend an. Hätte Shenka gesagt: »Nein«, so wäre sie geblieben, doch Shenka sagte nichts, sie schloß sogar die Augen. Wanda verließ gehorsam das Zimmer.
Dieser General kam regelmäßig zweimal im Monat, alle zwei Wochen (ebenso, wie zu einem anderen Mädchen, Soja, jeden Tag ein anderer Ehrengast kam, der im Hause »Direktor« tituliert wurde).
Shenka warf plötzlich das alte zerflederte Buch hinter sich. Ihre braunen Augen sprühten goldene Funken.
»Ihr solltet diesen General nicht schlechtmachen«, sagte sie. »Ich habe Schlimmere gekannt. Einmal hatte ich einen Gast – einen richtigen Grobian. Er konnte mich nicht anders lieben als … als … na, ganz einfach, er hat mich mit Nadeln in die Brust gestochen … Und in Wilna kam ein katholischer Priester zu mir. Er zog mir lauter weiße Sachen an, ich mußte mich pudern, dann legte er mich ins Bett. Drei Kerzen zündete er rings um mich an. Und dann, als ich ihm ganz und gar wie eine Tote vorkam, stürzte er sich auf mich.«
Die Blonde Manka rief plötzlich: »Du hast recht, Shenka! Ich hatte auch einmal einen Irren. Er zwang mich immer, die Unschuldige zu spielen, ich mußte weinen und schreien. Und du, Shenetschka, bist die Klügste von uns, aber trotzdem errätst du nicht, wer er war …«
»Gefängnisaufseher?«
»Feuerwehrhauptmann.«
Auf einmal lachte Katja mit tiefem Baß. »Und ich hatte mal einen Lehrer. Arithmetik hat er, glaube ich, unterrichtet, ich weiß nicht mehr genau. Er hat mich immerzu gezwungen, mir vorzustellen, ich wäre ein Mann und er eine Frau und ich würde ihn vergewaltigen … So ein Blödian! Stellt euch vor, Mädels, der hat die ganze Zeit geschrien: ›Ich bin die Deine! Ich bin ganz die Deine! Nimm mich! Nimm mich!‹«
»Übergeschnappt!« sagte die blauäugige flinke Verka mit entschiedener und überraschend tiefer Altstimme. »Total übergeschnappt!«
»Nein, wieso denn?« widersprach auf einmal die sanfte, bescheidene Tamara. »Das war durchaus kein Verrückter, sondern einfach ein Lüstling, wie alle Männer. Zu Haus ist's ihm langweilig, und hier kann er für sein Geld jedes Vergnügen haben, das er will. Klar?«
Shenja, die bis jetzt geschwiegen hatte, setzte sich plötzlich mit einer raschen Bewegung im Bett auf.
»Ihr seid alle dumm!« rief sie. »Warum seht ihr ihnen das alles nach? Früher war ich auch so blöd, aber jetzt bringe ich sie dazu, vor mir auf allen vieren zu kriechen, ich lasse sie meine Füße küssen, und sie tun es mit Wonne … Ihr wißt alle, Mädels, daß ich mir aus Geld nichts mache, aber die Männer nehme ich aus, sosehr ich nur kann. Die gemeinen Kerle, sie schenken mir Bilder von ihren Frauen, Bräuten, Müttern und Töchtern. Na, ihr habt sicherlich die Fotos in unserm Klosett gesehen … Aber denkt doch mal nach, Kinder. Die Frau liebt nur einmal, aber für immer, der Mann dagegen – wie ein geiler Bock. Nicht nur daß er untreu ist, er bewahrt sich ja nicht einmal das geringste bißchen Dankbarkeit, weder für die alte noch für die neue Geliebte. Ich habe gehört, daß es unter der
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