Das Syndikat der Spinne
soweit ich das beurteilen kann, ist er über den Berg. Ich muss Ihnen ehrlich gestehen, dass ich gestern meine Zweifel hatte.«
»Ich weiß. Aber ich habe gespürt, dass alles wieder gut wird. Sie haben mir meinen Mann wiedergegeben.«
»Nein, Frau Schulze, Ihr Mann hat einen unglaublichen Überlebenswillen. Das ist etwas, was wir Ärzte nicht beeinflussen können. Es gibt Menschen, die haben Krebs und kämpfen mit aller Macht dagegen an und sind mit einem Mal gesund. Andere ergeben sich in ihr Schicksal und sterben. Oftmals liegt es wirklich in unserer Hand, ob wir leben oder sterben. Aber jetzt will ich Sie mit Ihrem Mann allein lassen. Sollte irgendwas sein, Sie brauchen nur zu klingeln.«
»Danke«, sagte Claudia Schulze mit Tränen der Freude in den Augen, beugte sich zu ihrem Mann und hauchte ihm einen leichten Kuss auf eine freie Stelle in seinem Gesicht. Seine Augen blitzten kurz auf und lächelten sie an.
Freitag, 9.15 Uhr
Natascha Olpitz war nach dem Telefonat noch eine Weile liegen geblieben und hatte über das nachgedacht, was Laskin ihr in der letzten Nacht alles erzählt hatte. Während er erzählte, hatte sie gemerkt, dass sie praktisch nichts von dem Leben wusste, das er führte. Sie hatte lange nur dagesessen und ihm zugehört, teilserstaunt, teils fassungslos, einmal wollte sie sogar aufspringen, sich etwas überziehen und einfach wegrennen. Doch irgendetwas hielt sie wie gefangen, vielleicht ihre Neugier, vielleicht auch nur die Art und Weise, wie er sprach. Irgendwann, es war weit nach Mitternacht und die ersten silbrigen Streifen zeigten sich am Horizont, hatte er sich zu ihr gesetzt und sie in den Arm genommen. Sie war wie gelähmt von den Worten, doch als er seine Arme um sie legte und sich an sie zog, fühlte sie eine unbeschreibliche Wärme in sich aufsteigen.
Erst war seine Erzählung emotionslos, fast kalt, schließlich aber brach es aus ihm heraus, seine Stimme wurde immer stockender, ein paarmal hatte er Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Er hatte ihr von seinem Leben berichtet, von seiner Kindheit und Jugend in einer kleinen Stadt in der Nähe von Jerusalem, von den ständigen Kämpfen zwischen Israelis und Palästinensern, die er manchmal hautnah miterlebte, vom Tod seines älteren Bruders, der bei einem Einsatz im Sinai von einem Querschläger getötet worden war, von seiner Zeit beim Militär und wie er noch während seiner Militärzeit als junger Mann vom israelischen Geheimdienst Mossad rekrutiert und dort ausgebildet wurde. Er war ein mathematisches Genie, das hatten sie schnell erkannt, und er war mit seinen nicht einmal zwanzig Jahren noch unverbraucht und formbar gewesen und hatte einen Bruder im Palästinensergebiet verloren. Solche Leute benötigte der Geheimdienst. Intelligent, engagiert und voller Hass auf die Feinde Israels.
Er genoss eine exzellente Ausbildung und wurde schnell zu einem der besten Computerspezialisten. Mit kaum dreiundzwanzig bekam er bereits eine Führungsaufgabe übertragen. Und es war nur zwei Jahre später, als er den Mossad mit dessen Einverständnis verließ und ein verheißungsvolles Angebot einer internationalen Firma in Tel Aviv annahm, das ihm zum einen viel Geld einbringen und zum andern unabhängig machen sollte. Seine Fähigkeiten als Computerspezialist hatten sich herumgesprochen, und es war ein großes Unternehmen, das eben diese logistischen Fähigkeiten, überdie Daniel Laskin verfügte, brauchte. Was Laskin aber nicht wusste, war, für welche Zwecke er tatsächlich eingespannt werden sollte. Er blieb ein halbes Jahr in Tel Aviv, bis die Firmenleitung ihn beauftragte, ein neues Computersystem des Unternehmens in der neu gegründeten Moskauer Filiale zu installieren und während der Startphase zu überwachen sowie die künftigen Mitarbeiter zu schulen.
Nach und nach aber hatte er herausbekommen, wofür sie ihn wirklich brauchten, doch da war es bereits zu spät. Er hatte schon zu viele Einblicke in bestimmte Geschäfte gewonnen, und ein Ausstieg hätte unweigerlich seinen Tod bedeutet. Er blieb nicht lange in Moskau, sondern wurde schon bald zum eigentlichen Sitz des Unternehmens nach Deutschland versetzt, wo er weiterhin für die Firma im Logistikbereich tätig war. Und Laskin spielte das grausame Spiel gezwungenermaßen mit. Er hatte noch beim Mossad einen Intensivsprachkurs belegt und perfekt Deutsch gelernt, und mittlerweile sprach er neben seiner Muttersprache Hebräisch auch noch Russisch, Deutsch, Englisch und Französisch
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