Das Syndikat der Spinne
Er stockte. Julia Durant sah ihn an und forderte ihn auf, weiterzusprechen.
»Und was?«
»Nee, vergiss es, sonst denkst du gleich wer weiß was.«
»Was soll ich denken?«
»Mein Gott, Blumenthal ist Jude, und es gibt nun mal in unserm Land ein ungeschriebenes Gesetz, nach dem man über Juden nichts Negatives zu sagen hat. Ich will eins gleich vorwegschicken, ich habe nichts gegen Juden, ich hatte nie etwas gegen sie und werde auch nie was gegen sie haben, damit das klar ist. Das Problem istnur, es gibt ein paar äußerst einflussreiche Geschäftsleute, Immobilienhaie und -spekulanten, Finanziers und so weiter, die Juden sind. Ob sie ihren Glauben auch leben oder ausüben, kann ich nicht sagen. Aber das ist nicht anders als bei den Katholiken oder Protestanten oder Moslems, bei denen die ethische und moralische Latte angeblich sehr hoch liegt. In Wirklichkeit haben sie diese Latte höchstens in ihrer Hose. Es wird überall auf Teufel komm raus rumgehurt, gelogen und betrogen und sogar gemordet. Und wenn du erfährst, dass die katholische Kirche im Dritten Reich Hitler praktisch unterstützt hat, dann wird es wohl auch unter den Juden ein paar geben …«
Durant unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich muss jetzt mal ganz ehrlich sagen, dass du dich nicht viel anders anhörst als so manche Rechten. Die erklären auch immer: Ich hab ja eigentlich nichts gegen Ausländer oder gegen Schwarze oder Juden …«
»Julia, bitte, ich bin alles andere als rechts!«, fuhr Kuhn sie sauer an. »Und das weißt du genau …«
»Und was sollen dann deine Sprüche über Blumenthal und die Juden?«, erwiderte sie spöttisch.
»Komisch, du gehst genauso auf die Palme wie alle andern, wenn man über die Juden redet. Wenn man mal ein paar Sprüche über die Moslems oder irgendjemand anders ablässt, ist das alles okay, das sind ja sowieso die Bösen. Aber wehe, man nimmt in Deutschland das Wort Jude in den Mund, schon wird man in die rechte Ecke geschoben. Hör zu, ich hab keine Lust, mit dir darüber zu diskutieren, denn du kapierst offensichtlich nicht, was ich zu sagen versuche, oder du willst es nicht kapieren.«
»Dann erklär’s mir. Und ich verspreche auch, dich nicht zu unterbrechen.« Als Kuhn keine Anstalten machte zu reden, sah sie ihn mit treuherzigem Blick an und legte ihre Hand auf seine. »Komm, sei nicht eingeschnappt, war nicht so gemeint.«
»Okay. Was ich sagen will, es geht um eine Hand voll Juden. Und es geht auch nur um eine Hand voll Deutsche oder Italiener oder Türken oder was auch immer. Es sind stets nur wenige. Und bei denJuden ist es eben so, dass einige wenige – Betonung auf wenige! – seit dem Zweiten Weltkrieg meinen, bei uns so was wie einen Freifahrtschein zu haben, egal, worum es sich handelt. Sie, und damit meine ich ausschließlich diese Hand voll Gauner, dürfen tun und lassen, was sie wollen. Es sind aber gerade und fast ausschließlich diejenigen, die sich auf der andern Seite über Rechtsradikalismus und Antisemitismus beklagen, wobei ich es selbst zum Kotzen finde, wenn heute noch Nazisprüche geklopft werden. Was mich nur verwundert, ist, dass wir ihnen das Geld praktisch in den Hintern stecken als Wiedergutmachung und sie nur noch mit Samthandschuhen anfassen, denn jede Äußerung über ihre manchmal sehr dubiosen Geschäftsmethoden könnte üble Folgen haben. Von den einfachen jüdischen Mitbürgern hörst du fast gar nichts, sie leben mitten unter uns, sie sind ein Teil von uns, und für die meisten von ihnen ist die Vergangenheit eben Vergangenheit und damit basta. Und dann gibt es welche, die nutzen die Vergangenheit zu ihrem Vorteil aus.«
»Das hört sich aber ganz schön hart an.«
»Mag sein, doch wir sind jetzt ganz allein, nur du und ich. Ich weiß zumindest von einem, der ist nach dem Krieg nach Frankfurt gekommen, nur mit einem Koffer in der Hand. Er hatte nichts, aber auch rein gar nichts als das, was im Koffer war. Und ein paar Jahre später war er Multimillionär. Er hat mit Immobilien spekuliert und ist dabei ganz sicher nicht immer legal vorgegangen. Sogar die Gerichte haben sich zeitweise mit ihm beschäftigt. Und was ist letztendlich dabei herausgekommen?« Kuhn zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. »Nach seinem Tod ist er so was wie ein Heiliger. Er war ja so koscher, weil er sich angeblich so sehr für sein Volk eingesetzt hat. Aber wenn du mal einen Blick hinter die Fassade wirfst, wirst du schnell erkennen, dass sein angeblich so toller
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