Das Syndikat der Spinne
gesehen hast,
da habe ich dich getragen.«‹
Das, Julia, ist eine Geschichte, die nur zu treffend die Beziehung zwischen Gott und den Menschen widerspiegelt. Solange du einzig mit deinem eigenen Verstand versuchst, Dinge zu ergründen oder Lösungen zu finden, so lange wirst du nur mäßigen Erfolg haben. Wenn du aber Ihm von deinen Problemen, Sorgen und Nöten erzählst, wird Er dich nicht zurückweisen. Und das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
»Paps, das Gedicht ist wunderschön, wirklich, aber sag mir, wo ist Gott, wenn kleine Kinder missbraucht oder misshandelt werden? Wo ist Er, wenn junge Menschen, die gerade angefangen haben zu leben, zu seelenlosen Wesen gemacht werden? Wo ist Er, wenn eine ganze Familie von einem Auftragskiller ausgelöscht wird? Sag’s mir.«
»Was ist dein Problem, Julia?«
»Das genau ist mein Problem. Warum lässt Er solche schrecklichen Dinge zu, ohne einzugreifen?«
»Was würde geschehen, wenn Er eingreifen würde? Er hat uns, dir, mir und allen andern Menschen, die Entscheidungsfreiheit gegeben, und wenn wir diese Entscheidungsfreiheit missbrauchen, dann werden wir dafür eines Tages Rechenschaft ablegen müssen, nicht diejenigen, denen Leid oder Unrecht zugefügt wurde, ganz gleich, ob es sich um Kinder oder Erwachsene handelt. Gott kann nicht eingreifen, und Er wird es auch niemals tun. Aber Er vermag dir inneren Frieden zu schenken und deine Augen zu öffnen und dir zu helfen, wenn du in Not bist. Du hast dir einen Beruf ausgesucht, der sehr schwer ist, und ich weiß, wie sehr du manchmal unter dieser Bürde leidest. Aber Gott könnte dir diese Bürde leichter machen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Damals, als deine Mutter gestorben ist, war ich sehr verzweifelt. Selbst ich als gestandener Priester habe mit Ihm gehadert, warum Er sie mir so früh entrissen hat, und dann kam mir dieses Gedicht in den Sinn. Es hat mir neben vielen anderen Dingen geholfen, über den Verlust hinwegzukommen.Soll ich dir mal eine Kopie davon machen und sie dir zuschicken?«
»Wenn du willst.«
»Gut, ich steck’s gleich morgen in den Kasten. Und ich möchte dir noch eines sagen: Ich habe dich sehr, sehr lieb, und ich weiß, dass du dein Bestes gibst. Aber haushalte mit deinen Kräften, teile sie ein, sonst wirst du eines Tages unter all der Last zusammenbrechen, und das will ich nicht. Und denk immer dran, ich bin jederzeit für dich da. Ich habe ganz vergessen dir mitzuteilen, dass ich mir sogar ein Handy gekauft habe, damit ich immer für dich erreichbar bin. Ich muss zwar noch rausfinden, wie das Ding genau funktioniert, aber ich kann zumindest schon anrufen und Gespräche entgegennehmen. Ich geb dir mal schnell die Nummer durch … Hast du mitgeschrieben?«
»Ja. Und danke für alles. Ich hab dich lieb, und sobald ich kann, komme ich runter.«
»Ich würde mich sehr freuen. Bis dann und Kopf hoch.«
»Tschüs.«
Sie legte auf und kämpfte mit den Tränen, wie so oft nach einem Telefonat mit ihrem Vater. Fast jedes Mal wünschte sie sich danach zurück in ihre Heimat, denn Frankfurt war nie die Stadt gewesen, in der sie sich wohl gefühlt hatte. Hier hatte sie ihre Arbeit, ein paar Bekannte, aber Frankfurt selbst war eine kalte, unpersönliche Stadt, die nie ihre Heimat werden würde. Riesige Glas- und Betonbauten, fast wie in Amerika, enge Straßenschluchten und eine Verbrechensrate, die nirgendwo in Deutschland höher war. Hier gab es zwar keinen extremen Rechtsradikalismus wie in vielen anderen Teilen der Republik, vor allem im Osten, dafür eine unüberschaubare und nicht einmal einzuschätzende Wirtschafts- und Gewaltkriminalität und ein organisiertes Verbrechen, wie es in dieser Form nur noch in Berlin zu finden war, einer Stadt, die sechsmal so groß war wie Frankfurt. Wobei selbst bei den Polizeiobersten die Meinung auseinander ging, welche dieser beiden Städte denn nun der eigentliche Mittelpunkt der mafiosen Aktivitäten war, aber auf Grund der extrem günstigen Verkehrslage,größter Bahnhof Deutschlands, einer der größten Flughäfen der Welt, das Frankfurter Kreuz, wo sich die wichtigsten Autobahnen trafen, und nicht zuletzt noch die Containerschiffe, die nur wenige Kilometer zu fahren brauchten, bis sie die Mündung des Mains in den Rhein erreichten, von wo aus man direkt zur Nordsee gelangte, neigte man immer mehr dazu, Frankfurt als Deutschlands Hauptstadt des Verbrechens schlechthin anzusehen. Und was sie selbst in den letzten Jahren hier erlebt
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