Das Syndikat
Fellmütze, rollte sie zum wartenden Taxi.
»Mom ...« Karen sah hinter ihr her, hinter dieser Frau im Rollstuhl, die sich nicht unterkriegen ließ, die den Kampf nie aufgab – und die den Mut hatte, nach ihren eigenen Regeln zu leben. Sie wusste nicht mehr, ob sie wütend sein sollte oder enttäuscht.
98
Fabio Izquierdo wartete nun schon seit mehr als dreißig Minuten auf dem Bahnsteig des Gare Central. Er wusste, dass am Eingang und an der Rolltreppe die neuen Scanner ihn erfasst und seine Daten längst mithilfe einer komplizierten Software verarbeitet und gespeichert hatten. Polizeibeamte hatten sich als Allererste gegen die Pesterreger impfen lassen müssen. Dass das Antiserum in einem ID-Chip gespeichert war, hatte man ihnen nur ganz flüchtig erklärt ...
Er hatte schon dreimal versucht, Anna auf ihrem Handy zu erreichen. Aber immer schaltete sich nur die Mailbox ein. Wenn sie den Zug verpasst und einen anderen genommen hätte, hätte sie ihm Bescheid gegeben, da war er sich sicher. Vergessen? Konnte es sein, dass sie vergessen hatte, dass sie kommen wollte? Nein, Anna vergaß nie etwas und ganz bestimmt nicht ihr Treffen.
Izquierdo steckte die Hände in die Taschen seiner Daunenjacke. Er fror. Früher fror er nie. Es musste mit dem Alter zu tun haben. Durchblutungsstörungen vielleicht. Dabei rauchte er nicht mehr. Aber wer wusste schon, welche komplizierten Vorgänge in seinem Inneren vorgingen, um den Organismus am Laufen zu halten?
»Fabio!«
Er drehte sich um. War das Anna? Die Frau mit den blonden Haaren und der großen Brille? Nur die Beine, die Beine kamen ihm bekannt vor.
»Entschuldige«, sie zog ihn in eine Nische.
»Was ist los, warum die Verkleidung, warum ...«
»Psst!«, hektisch warf sie einen Blick über die Schulter, so aufgelöst kannte er sie gar nicht. »Meine Dateien wurden kopiert«, sagte sie leise. »Sie überwachen mich.«
»Wer?« Instinktiv sah er an ihr vorbei.
»Leute um diesen Baron Dubois«, sagte sie leise.
»Wie kommst du darauf?«
Sie holte Luft und zog in zu den Fahrplänen an der Wand. »Pass auf«, sagte sie leise, »wusstest du, dass Live ID , die Firma, die die Chips herstellt, die seit dem Pestanschlag implantiert werden, zum Imperium von Gustave Dubois gehört?«
Noch wusste er nicht, worauf sie hinauswollte. »Und?«
»Es kommt noch besser. Die Pharmafirma, die das Impfserum produziert, gehört auch dazu.«
»Aha.« Was wollte sie? War alles in Ordnung mit ihr?
Sie zog ihn näher zu sich. »Dubois trifft sich regelmäßig mit Kenneth Emerson, dem Gründer und Hauptaktionär von LegendSoftware , das ist die am weitesten verbreitete ...«
»Ich weiß, wir arbeiten auch damit«, warf er dazwischen, aber sie redete weiter. »Eben. Sieh doch mal: Impfstoff, ID-Chips und die Software – alles in einer Hand.«
»Ja, aber ...« Seine innere Distanz zu ihr wurde immer größer.
»Und: Dubois hält Anteile an der privaten Sicherheitsfirma Globe , das ist ein Tochterunternehmen von Belling . Und Grévy hatte Kontakte zu Globe ... «
Atemlos ratterte sie die Namen herunter, er konnte ihr kaum folgen. »Was willst du damit sagen, Anna, ich verstehe nicht so ganz ...«
»Begreifst du denn nicht!«, sagte sie ungeduldig und lauter als vorher. »Die arbeiten alle zusammen!«
»Na ja, das ist so in unserer globalen Welt ...«
»Aber es gibt eindeutige Hinweise, dass dieses Imperium dahintersteckt!«
Er versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen.
»Und jetzt kommt etwas, das du nicht für möglich hältst.«
»Und?«, sagte er müde.
»Ich habe dir doch von dieser Journalistin erzählt, Karen Burnett, die mich angerufen hat und die die ganze Sache ins Rollen gebracht hat.«
»Ja.« Er hoffte, sie würde keine neuen dubiosen Geheimverbindungen aufdecken. »Ihre Mutter, Jane Burnett, war vor dreißig Jahren im Tschad, sie hat eine Reportage über Uranschmuggel geschrieben, worauf das Pentagon den Rüstungshaushalt aufgestockt und Truppen dorthin geschickt hat. Erst viele Jahre später kam heraus, dass Jane Burnett, die bekannte und kritische Journalistin, einem Irrtum aufgesessen ist.«
»Ich verstehe immer noch nicht ...« Anna Scarafia, mit der er so intensive und aufregende Stunden verbracht hatte, wurde ihm immer rätselhafter und fremder.
»Fabio, vor zwei Tagen erschien in der Online-Ausgabe der Times ein Artikel über die Gefahr des Megareichtums in unserer Gesellschaft, geschrieben von einer gewissen Helen Durban.«
»Und?« Er zuckte mit den
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