Das Syndikat
wusste sie es nicht.
Und jetzt kam es ihr vor, als müsste hinter jedem Busch, hinter jedem Schild, hinter jedem auch noch so unbedeutenden Detail etwas darauf lauern, aus dem Dunkel ihrer Erinnerung hervorzuspringen, wie in diesen altmodischen Geisterbahnen. Palmen, die sich im Wind wiegten, kurz gemähter Rasen, Pools, Motelschilder, Werbetafeln ... Aber da war nichts.
Auch Gibbs blickte aufmerksam vom Beifahrersitz des gemieteten Toyota Landcruiser nach draußen, als halte er für sie Ausschau, während sie im dichten Verkehr vom Lindbergh Airfield, dem internationalen Flughafen mitten in der Stadt, den Hinweisen zur Interstate 8 folgte. Es heißt immer noch Best Times Inn , stell dir vor, hatte ihre Mutter zur Wegbeschreibung hinzugefügt und ein Smiley dahintergesetzt. Karen ärgerte sich über den schwarzen Humor ihrer Mutter.
Am meisten aber ärgerte Karen sich über sich selbst, denn wieder einmal tat sie das, was ihre Mutter von ihr verlangte. In die Höhle des Löwen zu gehen und Winston Vonnegut mit der Wahrheit zu konfrontieren.
Im Flugzeug holte sie sich das Bild ins Gedächtnis, das sie von ihm im Internet gefunden hatte, und suchte nach Ähnlichkeiten. Hatte sie die gleichen eng stehenden Augen? Nein, auf keinen Fall. Und das entschlossene Kinn? Und was war mit dem Mund? Gegen ihren Willen musste sie zugeben, dass er – selbst mit seinen fast siebzig – noch ein gut aussehender Mann war. Die dunkle, düstere Seite, wie ihre Mutter sie nannte, konnte man auf den Aufnahmen, die sie gefunden hatte, nicht ausmachen ...
Die kaum achtzehn Meilen bis zur Adobe Falls Road kamen ihr kurz vor, sie hatte sich die Fahrt sogar länger gewünscht, nein, ein Teil in ihr wünschte sogar, sie wäre endlos. Doch da entdeckte sie schon das Motelschild, und sie wusste, dass ihr wohl nichts anderes übrig blieb, als in die Einfahrt abzubiegen.
»Wir sind da, Gibbs.« Er stellte die Vorderpfoten aufs Armaturenbrett und sah hinaus.
Die Palmen. Das Motel. Best Time Inn stand auf dem schmutzigen Neonschild. Zwei Etagen, grüne Wände, gelbe Außentreppe. Davor der eingezäunte Pool, nierenförmig. Sie wartete auf diesen berühmten Augenblick, wenn sich etwas plötzlich erhellt, eine Erinnerung aus dem Dunkel ins Helle tritt. Aber auch als sie eine Weile in der Einfahrt stand und alles aus der Entfernung betrachtete, dieser Augenblick wollte sich nicht einstellen.
An die Palmen glaubte sie sich dann auf einmal doch zu erinnern, und auch an den Pool. Allerdings hatte sie ihn viel größer in Erinnerung. Und das Motel selbst? Es sah sicher nicht mehr so gut aus wie damals. Von den Mauern blätterte der Putz, und der Pool schimmerte mehr grün als blau. Sie war sicher, ihre Mutter hätte niemals ein solches Motel gewählt. Aber neunundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit, dachte sie, nicht nur für ein Menschenleben, auch für ein Gebäude.
Sie öffnete die Autotür und stieg aus, und sofort fiel feuchte Hitze über sie her, als hätte sie nur auf ein neues Opfer gewartet. Kies knirschte unter ihren Schuhen wie zersplitterndes Glas, und dann entdeckte sie die Ameisenstraße, die irgendwo unter dem Wagen begann und auf die Palme zuführte. Rasch stieg sie darüber hinweg.
Gibbs schien das gar nicht zu bemerken, er dehnte Rücken und Beine und trottete neben ihr zu dem flachen Anbau, der sich vor dem dreistöckigen Gebäude mit den Zimmern und der Außentreppe befand. Auf der Schiebetür klebten das Schild Klimatisiert und das Zeichen für alarmgesichert.
Karen schob sie auf und schloss sie sofort wieder hinter Gibbs. Es war kalt wie in einem Kühlschrank, und es roch nach einem süßlichen Desinfektionsmittel. Nein, sie erinnerte sich an nichts. Der Geruch in ihrem Albtraum war ein anderer.
»Hi! Oh, der ist aber süß! Wie heißt er denn?« Eine junge Frau mit kalkweißer Haut, pechschwarzen Haaren und Augenbrauenpiercings kam hinter der mit Andenken und Postkarten überladenen Theke hervor. Sie trug ein schwarzes Top, hautenge schwarze Jeans und klobige Schuhe. In ihrem Nabel konnte Karen drei Ringe erkennen.
»Gibbs.«
»Hi, Gibbs.« Die Frau ging in die Hocke und streichelte den Hund. Sie war viel jünger als Karen, vielleicht sogar erst zwanzig, sehr dünn, auf beiden Armen hatte sie eine großformatige Tätowierung. »Normalerweise sind Tiere in den Zimmern verboten, aber«, sie grinste, »mein Dad kommt erst in vier Tagen wieder. Ab dann müsste er im Auto schlafen.«
»Ich bleib nicht so lange«, sagte
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