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Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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Kinder ... Es ist alles nicht wahr, was man uns als Kinder gelehrt hat. In der Schule, in der Kirche ... dass das Gute belohnt wird und das Böse bestraft. Dass man dem anderen nicht antun darf, was man selbst nicht angetan bekommen will ...
    Ich muss es tun, sonst tut es der andere vor mir.
    Wenn er irgendwo im Kampf gefallen wäre, im Kongo, im Irak oder in diesem verfluchten Afghanistan, dann könnten sie stolz sein auf ihren Vater.
    Aber ein toter Vater mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne? Ein toter Vater mit Schlaftabletten auf dem Klodeckel?
    Nein, er mutete ihnen schon genug zu. Wenn sie älter wären, würden sie begreifen, was er nur des Geldes wegen getan hatte.
    Und trotzdem reichte es nicht für das Leben, das er gerne gelebt hätte. Argentinien. Eine Hazienda mit Pferden, Schafen, Rindern ...
    Eine falsche Geburt. Eine falsche Familie. Ein falsches Land. Ein falsches Leben.
    Großer Gott, warum muss ich das durchmachen? Sofort wurde ihm die Anmaßung klar, die in dieser Frage lag. Gütiger Gott, du hast deinen Sohn geopfert ...
    Er stand auf und ging zum Waschbecken. Als er die Ohrstöpsel aus dem Spiegelschrank nahm, blickte er in ein unrasiertes Gesicht mit dunkel umschatteten Augen, die ihn stumpf anstarrten. Das Gesicht eines Irren, mit dem niemand etwas zu tun haben wollte.
    »Thierry!«
    Er steckte die Stöpsel in die Ohren, zog sich aus, seine Sachen fielen auf den Boden, er setzte sich in die Badewanne und ließ Wasser ein. Ganz langsam stieg es höher, und bald zerfloss sein Körper, löste sich allmählich auf im warmen Wasser, das ihn umspülte. Jetzt einfach ertrinken ...

13
    Brüssel
    Hinter den beigen Leinenvorhängen mit den erdfarbenen Gräsermotiven graute der Morgen, und einen Augenblick lang dachte Karen, es sei wieder das Licht, das durch den Türspalt dringt, durch diesen Türspalt am Ende des dunklen Tunnels, aus dem auch dieser beißende Geruch dringt ... doch diesmal war sie nicht in ihrem fünfundzwanzig Jahre alten Albtraum gefangen. Schlimmer noch, sie begriff: Das Licht war der Morgen danach – nach Davids Tod. Und wenn doch alles nur ein böser Traum war ... Nein, sie wusste es besser, und mit jeder Sekunde wurde es zur Gewissheit: David war tot.
    Der Geschmack von Alkohol im Mund und die dumpfen Kopfschmerzen ließen sie an das große Glas Brandy denken, das sie heruntergestürzt hatte, als sie heimgekommen waren. Als könnte sie damit das ewige Abspulen des Abends unterbrechen. Was wäre denn gewesen, wenn sie Nein gesagt hätte zur Verabredung? Dann wäre David gar nicht ins Restaurant gegangen ... Warum hatte sie nicht einfach mit ihrem Mann gefeiert? Weil das Gefühl, David sehen zu wollen, stärker gewesen war. Sie war schuld, weil sie ... weil sie Michael nicht mehr so liebte wie früher. Sie drehte sich zu ihm. Er schlief fest. Ausnahmsweise hatte er eine Schlaftablette genommen, Michael, der jeden Morgen warmes Wasser mit Zitrone und Honig trank, der in pedantischer Regelmäßigkeit eine Gallen- oder Leberkur absolvierte oder sonst irgendetwas Gesundes, aus Angst, alt und krank zu werden, er nahm niemals Schlaftabletten – während sie ihr Leben und ihre Gesundheit oft riskierte, ungesund aß, Alkohol trank, Schmerztabletten konsumierte wie andere Gummibärchen ... Der Becher Kaffee nach einer endlosen Nacht auf einem harten Feldbett in einem stickigen Zelt bedeutete die Erfüllung für sie.
    Warum wollen Sie sich selbst zerstören, Karen?, hatte der Psychiater immer wieder gefragt, und sie hatte nie geantwortet.
    Trotzdem hatte sie immer wieder überlebt. Es musste doch einen Sinn haben, dass sie noch am Leben war – oder?
    Sie berührte Michaels Haare und dachte an David, der nie wieder aufwachen würde. Plötzlich fiel ihr Blick auf die Telefonnummer auf ihrem Unterarm. Lanzelot. Thibault oder wie er in Wirklichkeit hieß. Wer sagte ihr, dass sie ihm vertrauen könnte?
    In ihrem Innern musste es eine Art Motor geben, etwas, das durch solche Fragen und Rätsel zum Laufen kam, das sie am Leben hielt – und das sie dazu brachte, trotz allem wieder aufzustehen.
    Während sie Michael einen Kuss auf die Stirn drückte, hatte sie das Gefühl, als müsste sie sich nur ein bisschen mehr anstrengen, als müsste sie sich nur ein bisschen mehr Mühe geben, damit sie ihn wieder lieben könnte. War er nicht der einzige Mensch, der ihr geblieben war? »Ich vermassele es nicht, Michael, versprochen«, sagte sie ganz leise und rollte zur Seite. Ihr Motor lief. Das

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