Das Syndikat
aus Überzeugung oder nur, weil ihm die Argumente ausgegangen waren?, überlegte Karen.
»Okay«, sagte sie, »dann müssen wir die ganze Wahrheit herausfinden. Das, was dahintersteckt.«
Nyström sah sie lange an, schließlich nickte er. »Eine gewisse Anna Scarafia in Den Haag leitet den Untersuchungsausschuss in der Sache Grévy.«
»Du hast also vorgehabt, sie einzuweihen?«
»Nein. Wir wollten uns in ihre internen Mails einhacken«, sagte Teecee.
Klar, was sonst, dachte Karen. Sie trank das Glas leer. David, ich finde heraus, wer dir das angetan hat. Ich finde die Wahrheit heraus.
Leben war in sie zurückgekehrt, sie hatte schon fast vergessen, wie sich das anfühlte.
20
Den Haag
Anna Scarafia war an diesem Abend schon früh zu Bett gegangen. Ein Migräneanfall hatte sie den ganzen Nachmittag lang gequält, schließlich hatte sie eine Tablette genommen und war endlich eingeschlafen.
Wenige Stunden später klingelte das Telefon auf ihrem Nachttisch.
Sie gehörte zu den Menschen, die ihr Handy niemals ausschalteten. Armer Édouard, er hatte es nie geschafft, sich damit abzufinden, dass es so etwas wie telefonische Unerreichbarkeit für sie nicht gab. Und auch nicht, dass sie eine schwindelerregend steile Karriere machte.
Während er seit zwanzig Jahren in seiner gediegenen holzgetäfelten Anwaltskanzlei Ehen schied, über Unterhaltszahlungen und Sorgerecht stritt, gab sie als Mitarbeiterin der Anklage am Europäischen Gerichtshof Fernsehinterviews, jagte perverse Kriegsverbrecher und vernahm Models, die von afrikanischen Tyrannen Diamantringe geschenkt bekamen.
Édouard schlief jetzt wahrscheinlich tief und fest neben seiner fünfundzwanzig Jahre jüngeren Frau, die ihr Handy nicht mit ins Schlafzimmer bringen durfte. Das ging Anna Scarafia während der wenigen Augenblicke durch den Kopf, die sie brauchte, bis sie das Telefon ertastet hatte.
»Ja?«
Sie war sofort hellwach, als sie den Namen Grévy hörte. Die Journalistin, die sich als Karen Burnett vorstellte und Französisch mit englischem Akzent sprach, behauptete Ungeheuerliches und schickte ihr zwei Fotos aufs Handy.
Scarafia war inzwischen aufgestanden, in ihr Arbeitszimmer gegangen und betrachtete die vergrößerten Fotos auf ihrem Notebook.
»Man kann jedes Foto manipulieren«, sagte sie und beugte sich näher zum Bildschirm, um die beiden Einschusslöcher in Grévys Kopf zu erkennen. »Außerdem gab es eine Obduktion. Glauben Sie denn, dem zuständigen Pathologen ist der zweite Schuss in den Kopf entgangen?«
»Nein. Aber er wollte ihn offensichtlich nicht sehen«, sagte die Journalistin frech. Wenn sie irgendetwas nicht ausstehen konnte dann waren es Frechheit und Dreistigkeit, die brachten sie auf die Palme, warum, wusste sie auch nicht so genau.
»Und woher nehmen Sie die Gewissheit, Madame?« Scarafia wurde allmählich wütend. Ganz langsam, aber sie spürte es genau, erwärmte sich ihr Blut. Ihr italienisches Blut. »Und woher haben Sie eigentlich meine Nummer?«
»Sagen wir mal ... ich hab sie einfach. Womöglich wurde der Pathologe unter Druck gesetzt oder ... gekauft.«
»Und wieso soll ich Ihnen das so einfach glauben?«
»Nur noch zwei Soldaten sind am Leben. Alle anderen sind im vergangenen Monat gestorben.«
»Überbelastung. Stress. Auch ihnen drohte eine Untersuchung.« Während sie das sagte, kam es ihr auf einmal merkwürdig vor. Aber wieso? Doch nur, weil diese Journalistin sie auf eine bestimmte Spur bringen wollte, oder? »Also, ich bitte Sie, wenden Sie sich zu den normalen Bürostunden an ...« Sie kam nicht weiter.
»Glauben Sie etwa, ich erzähle Ihnen Märchen am Telefon?«, brauste die Journalistin auf.
Oh, Madame Burnett ist keine von denen, die sich einschüchtern lassen, dachte Scarafia und sagte: »Nehmen wir an, es stimmt, was Sie sagen, warum sind diese Menschen gestorben?«
»Sie sind nicht einfach gestorben. Autounfälle, Selbstmorde, Schlaganfälle, Herzinfarkte ... Es waren alles Männer unter vierzig. Das ist nicht gerade normal.«
»Womöglich haben alle unter großem Stress gelitten. Schuldbewusstsein, die Unfähigkeit, ins normale Leben zurückzukehren, Eheprobleme, Beziehungskonflikte ... Wir wissen doch alle, dass ein großer Teil der Soldaten Antidepressiva nimmt oder Amphetamine. Prozac, Zoloft ...«
»Und durch Zufall sterben alle innerhalb eines Monats?«, fiel ihr die Journalistin ins Wort.
»Wissen Sie, dass allein im letzten Jahr hundertfünfzig amerikanische Soldaten, die im
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