Das Syndikat
Überlebenden.«
Karen suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen von Entsetzen, aber sie fand nichts. Entweder hatte er das Video schon so oft gesehen oder er war einfach so.
»Der Einsatz sollte untersucht werden«, Nyström verschränkte die Arme vor der Brust, »und: Nicht nur Oberst Grévy ist tot, auch acht der zehn Globe-Contractors .«
»Sind sie bei dem Einsatz ums Leben gekommen?«, fragte Karen.
»Nein«, er legte den Kopf schief, als wollte er ihre Reaktion genau studieren, »sie sind während der letzten beide Monate gestorben.« Nyström klickte einen Namen an. Autounfall in Limoges, konnte Karen lesen. Er klickte einen anderen Namen an. Herz-Kreislaufversagen. Mit einunddreißig. Die nächsten beiden Soldaten waren an einem Gehirnschlag gestorben, ein weiterer hatte sich aus dem Fenster seiner Wohnung im fünften Stock gestürzt, wo er mit Frau und zwei Kindern wohnte, ein anderer hatte sich mit Schlaftabletten umgebracht, und zwei starben an einem Herzinfarkt.
»Alle Todesfälle lassen sich erklären mit posttraumatischem Belastungssyndrom, mit emotionalem Stress, Schuldgefühlen, Depressionen, auch mit Drogenkonsum ... Es gibt keinen einzigen Hinweis auf einen Täter und auf einen Plan.«
»Und was unternimmt Lanzelot? « Der Whiskey ließ sie tiefer durchatmen.
Nyströms Augen blitzten auf. »Wir veröffentlichen.«
»Aber zwei der zehn Männer leben doch noch, oder? Falls ein System dahintersteckt, bringt ihr die Leute in Gefahr. Man wird versuchen, auch noch die letzten Überlebenden auszuschalten.«
»Das ist nicht unsere Sache«, sagte Nyström und fuhr sich mit den Händen durch die Haare, dann schüttelte er den Kopf und strich sie wieder nach hinten.
Du kannst ein ganz schön ignorantes Arschloch sein, Nyström, dachte Karen.
»Wir veröffentlichen geheime Dokumente«, fuhr Nyström fort, »weil die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf hat, zu erfahren, was wirklich passiert. Die Bürger zahlen diesen Politikern das Gehalt, sie wählen sie, sie setzen sie ein, und diese Kerle halten es noch nicht einmal für nötig, ihren Geldgebern reinen Wein einzuschenken.« Teecee nickte.
»Und was wollt ihr nun machen?«, fragte Karen.
»Ganz einfach«, sagte Nyström, »wir veröffentlichen die Fakten. Das Video. Die Liste mit den Beteiligten.«
»Dann hat der Geheimdienst also doch recht«, sagte Karen, »und ihr habt durch eure Veröffentlichungen zwei Morde auf dem Gewissen.«
»Wieso?«, meldete sich Teecee.
»Wieso?« Karens Wut wurde immer größer. »Habt ihr hier überhaupt eine Ahnung, wie es im richtigen Leben zugeht? Was glaubt ihr wohl, was mit den beiden passiert? Vorausgesetzt, die, die ihre Kameraden auf dem Gewissen haben, sind nicht schneller ... Die Männer werden gelyncht!«
»Hast du vergessen, was sie getan haben?«, fuhr Nyström sie an. »Du hast es gerade gesehen! Sie haben unschuldige Menschen niedergemetzelt! Hast du dieses Kind gesehen?«, sagte er heftig. Seine Augen funkelten.
»Und jetzt entscheidest du, die Typen haben nichts anderes verdient, oder?«
Nyström schwieg. Teecee wandte sich ab, als sie zu ihm blickte.
Und wenn Nyström recht hat? Warum sollte man diese Männer nicht einfach ihrem Schicksal überlassen? Was mischte sie sich überhaupt ein?
Als Journalistin musst du Distanz wahren können, Liebes, sonst findest du nie die Wahrheit heraus. O-Ton ihre Mutter. Karen konnte selten Distanz wahren. Immer flammte etwas in ihr auf. Leidenschaft, Wut ... Und diesmal gelang ihr es erst recht nicht. David. Sie tat es wegen David – oder nicht? Oder wegen der Wahrheit? Oder ... oder weil sie immer noch an etwas glaubte, an so was wie Menschlichkeit und Gerechtigkeit.
»Es geht um die Wahrheit, Karen«, sagte Nyström.
»Auf Kosten von Menschenleben?«, gab sie zurück.
»Jede Wahrheit erfordert Opfer«, warf Teecee dazwischen.
Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit ... Sie wollte es nicht mehr hören. »Ihr tut so, als wäre die Wahrheit ein Gott«, sagte sie, »ein Gott, dem geopfert werden muss.«
»Na ja, so drastisch ...«, begann Nyström.
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Wenn du das hier veröffentlichst, sind die beiden überlebenden Söldner so gut wie tot.«
»Jens hat doch schon gesagt, dass das nicht unser Problem ist«, sagte Teecee.
Oh, er mag mich nicht. Gut, ich mag dich auch nicht, dachte sie. Bevor sie etwas erwidern konnte, hob Nyström beschwichtigend die Hand. »Lass, Teecee. Karen hat recht. In diesem Fall.«
Sagte er das jetzt
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