Das Syndikat
glücklich waren miteinander, weil es keine Schwingungen mehr gab, so wie früher. Sie lebten nebeneinander her. Alles drehte sich um ihn – und ums Geld. Dieses Mal war alles noch schlimmer geworden, seit er aus Afghanistan zurückgekommen war. Jetzt verstand sie die Sorgen anderer Soldatenfrauen, die sich einerseits jeden Tag wünschten, ihre Männer würden so schnell wie möglich zurückkommen, die sich andererseits aber genau davor fürchteten. Weil sie sich verändert hatten. Jeder Einsatz machte etwas mit ihnen. Oft schon hatte sie sich gewünscht, endlich diese Seite in ihm kennenzulernen, die immer stärker wurde, die nichts mit ihr zu tun hatte und mit ihrem gemeinsamen Leben, diese kämpferische, gewalttätige Seite. Sie hatte Zeitungsartikel gelesen, er erzählte ja nichts, schwieg, ging weg, schwieg wieder ... und sie ahnte, dass er dabei gewesen war, sie ahnte es.
Das Handy klingelte immer noch.
Schließlich nahm sie doch ab. »Hallo?«
Als das Wort Journalistin fiel, wollte sie sofort auflegen. Dass sie es nicht tat, lag daran, dass sie nicht so schnell die richtige Taste fand. Und dann sagte die Frau etwas von Attentaten und dass schon acht Soldaten gestorben seien und dass Jorge unter den letzten Lebenden sei.
»Was reden Sie da überhaupt?«, unterbrach sie die Frau.
»Wissen Sie, wo er jetzt ist?«, fragte die Journalistin.
»Auf unserer Baustelle.« Seit sechs Uhr schon. »Wir bauen ein Haus. Er muss die Arbeiter überwachen.« Sie schluckte, als könnte sie die Zweifel, die ihr zum ersten Mal kamen, damit niederkämpfen.
»Um diese Uhrzeit?«
»Er hat Angst, dass irgendwelche Sachen geklaut werden. Manchmal übernachtet er sogar da draußen.« Stimmte das überhaupt? Was wusste sie denn noch von diesem großen, starken Mann, von dem sie sich früher so beschützt gefühlt hatte.
»Bei dieser Kälte?«, sagte die Stimme aus dem Telefon.
»Die macht ihm nichts aus. Hören Sie, dieses Haus hält ihn aufrecht. Die Arbeit dort hilft ihm über den Tag. Ohne sie wäre er wahrscheinlich längst Alkoholiker oder drogenabhängig.« Die Worte drängten aus ihr heraus. Wie kam sie überhaupt dazu, einer Fremden am Telefon ihre Ängste anzuvertrauen? Sie redete ja noch nicht einmal mit ihren Freundinnen darüber. Weil man sie immer davor gewarnt hatte, einen Soldaten zu heiraten.
»Madame Cocteau, sind Sie noch dran?«
»Ja.«
»Wie kann man ihn erreichen?«
»Erreichen? Gar nicht. Er hat sein Handy ja nicht mitgenommen.« Mit diesem Ding telefoniere ich gerade mit Ihnen, haben Sie das nicht kapiert?, wollte sie ins Telefon brüllen, alles herausbrüllen, was sie die letzten Jahre ausgehalten und in sich verschlossen hatte.
»Bitte, es ist wirklich dringend«, fing die Journalistin wieder an, »Sie müssen ihn warnen. Er ist in Gefahr.«
»Warum sagen Sie mir das und nicht die Polizei?«, sagte sie barsch. Ich hab genug zu tun!, wollte sie schreien, ich kann nicht mehr, denkt denn keiner mal an mich?
»Sie müssen zu ihm!«
»Und Ihnen soll ich jetzt einfach so glauben?« Sie bemerkte, dass sie vor dem Spiegel an der Garderobe stand. Sie betrachtete sich, den Kopf zur Seite geneigt, einen Arm in die Hüfte gestützt. Diese tief gezogenen Mundwinkel. Wie alt sie geworden war. Fünfunddreißig. Und verbittert.
»Lieben Sie Ihren Mann?«, kam es plötzlich aus dem Telefon.
Sie sah sich in die Augen. Liebe ich ihn? Liebt er mich noch? Es ist anders geworden zwischen uns. Aber geht das nicht allen Menschen so, die schon länger zusammenleben? Liebe ich ihn noch? Ihr Blick bohrte sich in die Augen ihres Spiegelbildes. Sie hatte ihn verloren. Er war in eine andere Welt abgedriftet. Liebe fühlte sich an wie Verlust, wie eine Wunde.
»Was geht Sie das eigentlich an?«, blaffte sie ins Telefon und holte Luft, sie musste sich diese Person endlich vom Halse schaffen.
»Nichts. Aber falls Sie ihn lieben, dann beeilen Sie sich, verstecken Sie sich ein paar Tage oder Wochen. Irgendetwas passiert ...«
»Sie sind wohl verrückt? Ich hab eine Stelle. Ich bin Krankenschwester! Denken Sie, ich kann einfach so gehen?« Sie hob die Brauen, schüttelte den Kopf und beobachtete sich dabei im Spiegel.
»Wie viel ist Ihnen Ihrer beider Leben wert, Céline?«
Darauf konnte sie nicht antworten. Sie sah auf die Uhr, sie musste endlich los, sonst käme sie zu spät zur Arbeit.
»Jorges Kameraden sind schon tot. Ich weiß nicht, ob Ihnen noch viel Zeit bleibt. Holen Sie Ihren Mann von der Baustelle und suchen
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