Das Syndikat
machen Sie mit Linh?«
Er deutete nach vorn. »Hier lang.«
Rue Saint Laurent mit ihren Läden und Cafés, sie war schon öfter hier durchgefahren, aber nie ausgestiegen, hatte nie Zeit gehabt ...
Das Handy des Mannes klingelte. Er ging ran und hielt es ihr ans Ohr.
»Madame Peyroux«, sagte eine unbekannte leise Stimme. »Hören Sie gut zu: Wir brauchen vier Behälter Yersinia Pestis YP 05/a. Sie werden uns die Behälter aushändigen.«
Lan erstarrte. »Das ist unmöglich.« Woher kannten diese Leute die interne Bezeichnung für ihre Testreihen? »Sie sind verrückt! Was wollen Sie damit?«
»Heute Nacht übergeben Sie uns die Behälter«, sagte die Stimme genauso leise und ungerührt. »Genaue Instruktionen erhalten Sie später. Bevor Sie womöglich Dummheiten machen, zum Beispiel jemanden – oder gar die Polizei – verständigen, sollten Sie eines wissen: Entweder liefern Sie uns die Ware oder wir liefern Ihnen Ihr Töchterchen. In Einzelteilen.«
Ihr wurde übel. »Sie dürfen ihr nichts tun! Versprechen Sie mir, dass Sie ihr nichts tun! Versprechen Sie es! «, schrie sie ins Telefon.
Aufgelegt. Der Mann mit der Maske steckte das Handy wieder in die Brusttasche seiner schwarzen Jacke.
Lan sah ihm in die Augen hinter den schmalen Schlitzen. »Hören Sie«, versuchte sie es noch einmal, »sagen Sie Ihrem Chef, dass ich die Behälter nicht einfach mitnehmen kann. Wie stellt er sich das vor? Es gibt Überwachungskameras, bewaffnetes Wachpersonal, Nummerncodes. Ergometrische Codes ...«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, kam es knapp durch das Mundloch.
Sie kämpfte mit sich. Sie könnte ihn anfallen, ihm die Fingernägel in die Augen bohren. Dann würde sie seine Waffe ...
Der Lauf drückte gegen ihre Schläfe. »Denken Sie nicht mal dran. Und jetzt geradeaus.«
»Aber das Labor liegt ...«
»Wir wissen, wo das Labor liegt.«
Sie nickte. Er würde sie nicht erschießen, das wurde ihr in diesem Augenblick klar. Sie wurde gebraucht. Aber Linh ... Sie hatte nur Angst um Linh. Nicht so sehr vor dem, was diese Leute mit antibiotikaresistenten Pestbakterien anrichten könnten.
Während sie immer weiter aus der Stadt hinausfuhr, ging sie im Geist alle Fakten durch, hakte sie ab, als würde sie eine Liste schreiben, als hätte das alles nichts mit ihr zu tun, als ... ja, als wäre es nur ein hypothetischer Fall, ein möglicher Ernstfall. Auf der WHO-Liste der gefährlichsten biologischen Kampfstoffe findet sich neben Anthrax, dem Erreger des Milzbrands, Pocken- und Ebola-Viren auch Yersinia Pestis, das Pestbakterium. Inkubationszeit: ein bis vier Tage. Symptome: Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten, Bewusstseinsstörungen. Sepsis durch Eintritt der Bakterien in die Blutbahn. Fieber, Schüttelfrost, starke Kopfschmerzen, Haut- und Organblutungen, Tod. Therapie: Frühzeitige Gabe von Antibiotika. Doch die Pesterreger sind antibiotikaresistent. Es hilft nur eine Impfung. Aber in welchen Mengen steht der Impfstoff zur Verfügung?
Lan Peyroux spulte das alles ab, immer und immer wieder. Sie wollten vier Behälter. Achttausend Tote – und dann noch die, die sich bei diesen Achttausend anstecken würden.
Ihr schlimmster Albtraum würde wahr. Die Bakterien würden das Labor verlassen. So viele Tote ...
Aber sie dachte nur an Linh. Sie hätte sie impfen sollen ...
»Für wen tun Sie das?«, fragte sie. »Was wollen Sie erreichen?«
»Halten Sie an.«
Lan erkannte erst jetzt, dass sie in einen Wald gefahren waren. Leiche im Wald gefunden ... In einem Versteck im Wald festgehalten ... Selbstmord im Wald ... , hämmerte es in ihrem Kopf.
»Aussteigen.«
Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte kein Wort mehr heraus. Sie gehorchte.
Sie hatte es nicht geschafft, Linh zu schützen. Sie hatte versagt. Sie war schuld, sie ahnte, dass etwas Furchtbares passieren würde, und sie hatte es nicht verhindert, sie war schuld ... Du hättest nie für die arbeiten dürfen, hörte sie ihren Vater sagen, Verräterin.
57
Cortot hockte hinter seinem Schreibtisch, als sei der eine Bastion, ein uneinnehmbares Fort, und hoffte, dass ein Wunder geschehen würde.
Doch sein Verstand machte ihm klar, dass er nur darauf wartete, dass die Zeit umging. Dass es endlich passieren würde. Und er konnte Peyroux noch nicht einmal warnen.
Er zupfte nervös an seiner Nagelhaut. Seine Frau war auf dem Esszimmerstuhl festgebunden. Was machten sie mit ihr? Er wusste ja noch nicht mal, wie viele Kerle bei ihr waren ... Er riss wieder an
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