Das System
auf meinen Vater hören sollen! Er hat immer gesagt, dass die Firma nur
eine Luftnummer ist. Ich habe dich verteidigt. Ich habe dir vertraut.« Sie schluchzte. »Aber er hatte die ganze Zeit recht.
Er hat mich von Anfang an gewarnt, dass ich einen Versager geheiratet habe.«
Mark erstarrte.
Versager. Vor ein paar Tagen noch hätte er über das Wort gelacht. Er war vielleicht noch nicht reich geworden, aber er hatte
eine funktionierende Firma aufgebaut und durch schwierige Zeiten gebracht. Er hatte zwei Dutzend Menschen einen Arbeitsplatz
gegeben. Da konnte er wohl kaum ein Versager sein.
|30| Doch heute war alles anders. Heute tat dieses Wort weh, wie nur ein Wort weh tun kann, in dem Wahrheit steckt. Jetzt, wo er
Unterstützung am dringendsten brauchte, fiel ihm Julia in den Rücken. Er spürte, dass jedes weitere Wort, das er jetzt sagte,
irreparablen Schaden anrichten würde, aber er konnte sich nicht zurückhalten.
»Dann geh doch zu deinem Vater und heul dich bei ihm aus!«, brüllte er. »Ich bin sicher, er kauft dir auch noch ein paar schicke
Kleider!«
Julias Augen blitzten vor Wut. Eine drückende Stille trat ein. Langsam nickte sie. »Gut. Ich gehe!«
Ihre Eltern wohnten in Fußnähe, in einer schönen Jugendstil-Villa mit zwei großen Gästezimmern. Julia übernachtete manchmal
noch dort, wenn Mark beruflich unterwegs war. Hoch erhobenen Hauptes nahm sie den Schlüssel und ging. Als das Krachen der
Haustür verhallt war, blieb nur Stille zurück.
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5.
Palo Alto/Kalifornien,
Mittwoch 13:03 Uhr
Norman Reed sah auf die Uhr. Kurz nach eins. Nur noch eine knappe Stunde, dann war die Frühschicht zu Ende. Er würde bei Carl’s
Jr. ein paar Hamburger essen, nach Hause fahren und sich aufs Ohr hauen, und dann, am Abend, würde er sich wie immer mit seinen
Freunden in Eternia treffen.
Er sah kurz aus dem Fenster. Der Himmel war klar, nur ein paar vereinzelte Zirruswolken deuteten an, dass ein stetiger Wind
vom Pazifik hereinwehte, der für schöne, gleichmäßige Brandung sorgen würde. Ideale Bedingungen zum Surfen. Doch Norman hatte
schon lange nicht mehr auf einem Surfbrett gestanden. Er musste damals sechzehn gewesen sein, und er hatte den Körper eines
Athleten gehabt. |31| Mit der enormen Wampe, die er heute mit sich herumschleppte, traute er sich nicht mehr an den Strand. Aber das war egal. Er
war längst über den Punkt hinaus, an dem er sich seines Dickseins schämte.
Nach einer unglücklichen Liebe hatte er begonnen, aus Frust zu essen. Als er gemerkt hatte, was mit seinem Körper passierte,
war es zu spät gewesen. Seitdem war der Geschmack von Ben & Jerry’s Maple Walnut das, was in Normans Leben gutem
Sex am nächsten kam. Aber auch das war ihm egal. Heutzutage musste man nicht mehr auf Partys gehen, um seinen Spaß zu haben
– es gab ja das Internet.
Das einzige wirkliche Problem am Dicksein war der Schweiß – und hier in Kalifornien kam man sehr schnell ins Schwitzen, wenn
man nicht aufpasste. Deshalb hielt er sich am liebsten in klimatisierten Räumen auf, so wie hier an seinem Arbeitsplatz in
einem hochmodernen Glasgebäude mitten im Silicon Valley, dem Herzen des Internet.
Norman war einigermaßen stolz darauf, bei einer der weltweit bedeutendsten Firmen für Suchtechnologie zu arbeiten. Und das
schon seit zwei Jahren, was bedeutete, dass seine Aktienoptionen inzwischen ein hübsches Sümmchen wert waren. Immerhin hatte
man ihm die Verantwortung über eines der größten Rechenzentren der Welt übertragen, und er verdiente gut. Trotzdem mochte
er seinen Job nicht besonders. Er war einfach unterfordert und langweilte sich. Am liebsten hätte er auf einem der Hochleistungsrechner,
die er überwachte, den Eternia-Client installiert. Aber das war natürlich strengstens untersagt.
Seine Aufgabe war es, die Leistung der Serverfarm, die das Herz der Suchmaschine bildete, zu kontrollieren. Nicht gerade aufregend,
aber das hatte auch etwas Gutes. Kein Stress. Norman hasste Stress. Stress brachte ihn ins Schwitzen.
Suchanfragen aus dem Internet wurden normalerweise innerhalb von weniger als einer Zehntelsekunde bearbeitet, obwohl in den
Tausenden miteinander vernetzten Rechnern |32| die Informationen von über fünf Milliarden Websites gespeichert waren. Bei einem großen Benutzeransturm oder einem schwerwiegenden
Systemausfall konnte die Wartezeit in den spürbaren Bereich von einigen Sekunden steigen, und das war schlecht
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