Das System
ihre Arbeitsplätze.
Mark suchte nach beruhigenden Worten, einem Scherz, irgendetwas, um den Leuten die Angst zu nehmen. Doch ihm fiel nichts ein,
was nicht schrecklich hohl geklungen hätte. Die Kehle schnürte sich ihm zu. Er senkte den Blick und verließ das Büro ohne
ein Wort.
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4.
Hamburg-Poppenbüttel,
Mittwoch 18:02 Uhr
Mark zögerte einen Moment, die elegante, weiße Haustür seiner modernen Villa in Poppenbüttel im Hamburger Norden aufzuschließen.
Er hatte keine Ahnung, wie er seiner Frau klarmachen sollte, dass er im Begriff war, seinen Job zu verlieren. Julia stammte
aus einer angesehenen Hamburger Familie und war sehr auf ihren guten Ruf in der Nachbarschaft bedacht. Sie würde die Schmach
kaum ertragen, dass ihr Mann plötzlich auf der Straße saß.
Er verdrängte den Gedanken mit aller Macht und versuchte, sich auf die kleinen, angenehmen Dinge zu konzentrieren, die ihm
bevorstanden: ein kühles Bier, eine herzliche Umarmung von Julia, die ihn später im Bett vielleicht auf andere Gedanken bringen
würde. Er atmete tief durch und drehte den Schlüssel im Schloss.
Julia saß vor dem Fernseher und sah irgendeine geistlose Spielshow im Vorabendprogramm. Als sie ihn hörte, stellte sie den
Fernseher ab und posierte kokett vor ihm. »Na?«
Mark sah sie verständnislos an. »Na, was?«
»Fällt dir nichts an mir auf?«
Mark blinzelte. »Du warst beim Friseur. Sieht toll aus!«
|28| Julia zog eine Schnute. »Quatsch! Ich meine das Kleid! Gefällt es dir nicht? Tina sagt, es steht mir irre gut!«
Es war ein elegantes, eng geschnittenes Cocktailkleid aus dunkelroter Baumwolle. Sie hatte recht, es betonte ihre schlanke
Figur und harmonierte gut mit ihren blonden, schulterlangen Haaren. »Oh, ja, sehr hübsch.«
»Es war runtergesetzt! Von 1200 auf unter 800 Euro!«
Mark wurde kalt. 800 Euro für ein Kleid, einfach so. Wo sie sowieso schon ein dickes Minus auf dem Konto hatten und hoch verschuldet
waren wegen des Hauses. Er schluckte. »Hast du noch mehr gekauft?«
Julia senkte den Blick. Sie sah hinreißend aus, wenn sie sich ertappt fühlte.
»Nur eine Kleinigkeit …« Sie lächelte schuldbewusst. »Eine Tasche. Die musste ich einfach haben! Passt absolut perfekt dazu!
Und Schuhe natürlich, ich hab ja keine dunkelroten. Mehr nicht, ehrlich.«
»Wie viel?«, fragte Mark.
Julia erschrak über seinen Tonfall. »Fünfhundert, ungefähr. Und dann noch die Schuhe, aber die waren auch runtergesetzt. Nicht
böse sein, ja?«
Mark konnte es nicht fassen. Früher hatte es ihm gefallen, dass sie es verstand, sich gut zu kleiden und elegant aufzutreten.
Wenn er mit ihr in der Öffentlichkeit auftrat, erntete er immer bewundernde Blicke und war stolz auf sie. Doch in letzter
Zeit hatte das Minus auf ihrem Konto immer bedrohlichere Dimensionen angenommen. Er hatte sogar schon einen Anruf von der
Bank erhalten. Daraufhin hatte er Julia mindestens ein Dutzend Mal gebeten, sparsamer zu sein. Aber sie kam aus einer wohlhabenden
Familie und hatte nie gelernt, was es hieß, für Geld hart arbeiten zu müssen.
Er atmete tief ein und aus. »Schatz, ich hab es dir schon mehrfach gesagt. So geht es nicht weiter! Wir müssen mit dem Geld
haushalten! Ich bin doch kein Millionär!«
|29| »Aber du hast doch die Firma! Du hast immer gesagt, wenn ihr an die Börse geht, dann …«
»Wir gehen aber nicht an die Börse, verdammt!« Seine Stimme wurde schneidend, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Der Frust
des heutigen Tages brach sich erneut Bahn. »Niemand geht mehr an die Börse! Du solltest mal hin und wieder Zeitung lesen,
statt nur deine dämlichen Shows zu glotzen, dann wüsstest du das! Ich bin nicht reich, und ich werde es auch nicht.« Er seufzte.
»Im Gegenteil. So, wie es aussieht, werde ich bald arbeitslos.«
Julia sah ihn mit großen Augen an. »Was?«
»John Grimes will mich als Vorstand ablösen!«
»Aber das kann er doch nicht machen! Die Firma gehört doch dir!«
»Mir gehören ein paar Anteile, ja, aber die Firma ist abhängig vom Geld der Investoren. Sie können mit mir machen, was sie
wollen.«
Julia schluckte. Tränen liefen über ihre hübschen Wangen. Ihre Unterlippe zitterte leicht. Sie machte ein paar Mal den Mund
auf, brachte aber nichts heraus.
Mark wollte sie in den Arm nehmen, sie trösten, ihr sagen, dass alles gut würde, dass er schon irgendwie auf die Füße fallen
würde. Doch in diesem Moment zischte sie: »Ich hätte
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