Das Tagebuch der Eleanor Druse
Menschen umgehen kann, wenn ich ihnen direkt gegenüberstehe, beschloss ich, mich dick in Wollpullover und Mantel einzupacken und in meinem alten Volvo hinüber zu Madelines Pennsylvania Dutch Bungalow zu fahren. Wenn Hilda Kruger noch in der Stadt war und den Nachlass ihrer Mutter regelte, traf ich sie vielleicht dort an. Allerdings war es gut möglich, dass sie sich überrumpelt fühlte, wenn ich unangekündigt hereinschneite. Und erst recht wahrscheinlich, wenn ich damit anfing, ihr Fragen über den Tod ihrer Mutter zu stellen und versuchte, Madelines Abschiedsbrief in die Finger zu bekommen.
Ich sann darüber nach, wie ich sonst noch vorgehen konnte.
Vielleicht sollte ich sie zunächst einmal anrufen und ihr mein Beileid aussprechen? Ich könnte mich mit ihr bekannt machen und ihr erzählen, dass ihre Mutter und ich vor langer Zeit befreundet gewesen waren und sie mir offensichtlich etwas Wichtiges hatte mitteilen wollen. Hatte ihre Mutter etwa jemals von einem kleinen Mädchen gesprochen, das gerettet worden war? Oder von einem Mädchen, das umherirrte? Oder von einem Brand?
Bei Krugers ging niemand ans Telefon, und es gab auch keinen Anrufbeantworter, also konnte ich mir noch überlegen, wie ich an dieser Front weiter vorgehen wollte.
Ich schob die Zeitungen zusammen und nahm sie mit ins Wohnzimmer, wo ich lesen und gleichzeitig vom Fenster aus zusehen konnte, wie die Wintersonne Eiszapfen und Schneewehen zum Glitzern brachte.
Bobby, der Nachtschicht gehabt hatte, kam die Hintertreppe in die Küche herunter, wo er sich die Zutaten für sein nachmittägliches Frühstück zusammensuchte. Ich hörte, wie er den Küchenschrank öffnete und eine fast leere Schachtel schüttelte.
»Mom, die Kommando Krunchs sind alle. Hast du sie aufgegessen?«
»Ich habe sie nicht angerührt, Bobby. Ich war schließlich im Krankenhaus. Erinnerst du dich noch dunkel daran? Außerdem esse ich keine raffinierten Kohlenhydrate. Im Weißmehl lauert der tägliche Tod. Wenn du also unbedingt an Diabetes Typ 2 erkranken willst, dann schreib dein Kommando-was-auchimmer ruhig auf den Einkaufszettel. Ich gehe später noch in den Supermarkt.«
Ich hörte, wie er seine Lieblingsschale auf den Küchentisch stellte, auf dem noch mein Schreibblock und die Telefonbücher lagen, und mit der inneren Papierverpackung einer anderen Schachtel raschelte, die – wenn ich mich nicht schwer täuschte – etwas enthielt, das hauptsächlich aus Zucker und Kakao bestand.
»Mom, was willst du mit Laurel Werlings Anschrift und Telefonnummer?«
»Ich habe versucht, sie anzurufen. Ich will sie nach der Nacht fragen, in der Madeline gestorben ist.«
Das Rascheln der Cerealienschachtel hörte auf, und die darauf folgende Stille war so laut, dass sie selbst einem Tauben aufgefallen wäre.
»Bobby?«
Ich musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass er schwitzte – was entweder an den Familienpheromonen lag oder einfach nur mütterliche Intuition war.
»Stimmt was nicht, Bobby?«
Ich hörte nur einen lang gezogenen Seufzer und dann das Ächzen seines Stuhls, als er sich darin zurücklehnte.
»Mom, Laurel Werling hatte eine Art Nervenzusammenbruch. Sie ist auf der psychiatrischen Station des Kingdom Hospital.«
»Sie ist im Krankenhaus? Und das sagst du mir erst jetzt? Also wirklich, Bobby!«
Ich sprang aus meinem Sessel auf und ging zu ihm in die Küche.
»Iss auf und komm!«
Ich ging in mein Schlafzimmer, zog einen Wollrock, einen dicken Pullover und schließlich den weißen Kittel mit der Hospizhelferinnenplakette an. Schließlich streifte ich noch einen Wintermantel über, bevor ich zurück in die Küche marschierte. Bobby saß immer noch am Tisch, und ich hätte ihn am liebsten an den Ohren hinaus zum Auto gezerrt, damit er mich ins Krankenhaus fuhr.
Unterwegs hielt ich ihm eine ordentliche Gardinenpredigt.
Hatte er denn nichts anderes im Kopf als nur seine Gewalt verherrlichenden Computerspiele, die Warcraft, Bloodfest oder noch schlimmer hießen? Einmal war ich in sein Zimmer gekommen, als er gerade vor dem Bildschirm saß und ein Spiel namens MDK spielte.
»Wofür steht das?«, hatte ich gefragt, und er hatte mir mit gelangweilter Miene geantwortet: »Murder, Death, Kill.« Ich hielt das für einen Scherz. Wie konnte sich ein erwachsener Mann stundenlang derartigen Gewaltfantasien hingeben? Kein Wunder, dass er noch immer solo war; die einzige Frau, für die er sich interessierte, war Lara Croft aus dem Spiel Tomb Raider.
Als ich ihn
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