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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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was ich sagen müsste, um auf der Psychiatrie zu Laurel Werling vorgelassen zu werden. Aber irgendwie seltsam fand ich es trotzdem, dass jemand auf derselben Etage in den Aufzug ein-und dann wieder ausstieg.
    Oder hatte es sich der alte Arzt einfach anders überlegt?
    Im neunten Stock trat ich aus dem Fahrstuhl in den offenen Wartebereich vor der Psychiatrie, wo ich mich fast zehn Minuten lang gedulden musste, weil die Stationszentrale nicht besetzt war. Wahrscheinlich hatten die Schwestern wieder mal alle Hände voll zu tun.
    Schließlich kam eine ältere Assistentin, auf deren Namensschild BERTA MUELLER, PSYCHOLOGISCH TECHNISCHE ASSISTENTIN stand. Nach einem flüchtigen Blick auf mein Namensschild, das mich als ehrenamtliche Hospizhelferin auswies, öffnete sie mir die Tür. Ich muss zugeben, dass ich zu einer kleinen Notlüge griff, als ich ihr sagte, ich sei eine »gute Freundin« von Laurel Werling und wolle sie ein wenig trösten. Ich hatte keine Zeit, um Berta zu erklären, dass Laurel und ich gemeinsam ein schreckliches Trauma erlitten hatten, das uns mehr verband als jede Freundschaft, weshalb ich ihr auch eher die Art unserer Beziehung beschrieb als die komplexen Umstände, unter denen wir uns kennen gelernt hatten. Ich wusste nur, dass Laurel bestimmt erleichtert sein würde, wenn sie mit jemandem reden könnte, der wie sie selbst Madelines grausam zugerichtete Leiche mit eigenen Augen gesehen hatte und mit heiler Haut davongekommen war. Berta zeigte mir den Weg zu Station 9D, auf der Mr. Werling lag, und klärte mich darüber auf, dass ich die Patientin nur mit der Erlaubnis von Heather Howe, der diensthabenden Schwester der Spätschicht, besuchen dürfte, die noch bei der Übergabebesprechung im Schwesternzimmer war.
    Ob ich eine Tasse Kaffee wollte, solange ich wartete?
    Ich lehnte dankend ab, weil ich bereits Tee getrunken hatte, und nahm auf einem gepolsterten Hocker Platz. Kurz darauf musste Berta einem verwirrten jungen Mann helfen, der sie um etwas Alufolie bat. Er wollte damit seinen Kopf vor der Mikrowellenstrahlung Außerirdischer schützen, die vorhatten, ihn einer Gehirnwäsche zu unterziehen.
    Ich schaute durch die Drahtglasscheibe den als 9D gekennzeichneten Flur entlang und bemerkte dort auf einmal eine Gestalt, deren Anblick mich erschreckt aufschreien ließ.
    Etwa auf halber Strecke in dem langen Korridor sah ich im fahlen Schein des Neonlichts den alten Arzt, der vorhin zu mir in den Lift gestiegen und wieder verschwunden war. 
    Weil sich auf der Drahtglasscheibe die Deckenbeleuchtung spiegelte, rückte ich so nahe an das Glas, dass ich es mit meiner Nase berührte. Und da erkannte ich auf einmal, wer der vermeintliche Arzt wirklich war: Es war derselbe schrullige Alte, der in der Nacht von Madelines Tod zur Stationszentrale gekommen war. Ich erkannte ihn, weil er im selben Flur wie damals neben demselben Feuermelder stand. Im Brandfall Scheibe einschlagen. Der Mann, den ich gerade mit Brille und weißem Labormantel im Lift gesehen hatte, war Mr. Willst-duwissen-was-Liebe-ist? höchstpersönlich. Und er hatte noch immer dasselbe Faltblatt wie vorhin in der Hand und ging ruhigen Schrittes den Flur entlang auf mich zu. Willst du wissen, was Liebe ist? Als er mich sah, blieb er stehen, klopfte an die Tür eines Zimmers und ging hinein.
    Bei seinem Anblick raste mein Herz wie wild. Um die in mir aufsteigende Panik zu unterdrücken, holte ich tief Luft und horchte konzentriert in mich hinein, ob es irgendwelche Anzeichen eines erneuten epileptischen Anfalls gab.
    Schließlich hatte ich die vermaledeiten Tabletten seit längerer Zeit nicht mehr genommen, was mir eigentlich sehr gut getan hatte. Aber ich durfte nicht vergessen, dass es durchaus wieder zu einem Anfall kommen könnte. Ich fantasierte nicht vor mich hin, hörte keine Stimmen und sah auch keine Aura; ich war Augenzeugin einer unheimlichen Folge von Ereignissen, die sich an zwei verschiedenen Orten und im Abstand von mindestens zehn oder fünfzehn Minuten ereignet hatten, ganz zu schweigen von dem, was zwei Wochen zuvor geschehen war. Wie war es möglich, dass ein alter Kauz, der noch vor vierzehn Tagen im Flügelhemd durch die Gegend spaziert war und irgendwelches krauses Zeug über Liebe vor sich hingebrabbelt hatte, nun plötzlich als Arzt durch die Flure lief und Besuche bei Patienten machte? 
    Ich sah mich nach Berta Mueller, einer Krankenschwester oder irgendjemand anderem um. Aber ohne Erfolg. Es war Übergabebesprechung,

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