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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Hilfspersonal aus dem Dienstzimmer gekommen, und nachdem ich eine Weile auf sie eingeredet hatte, willigten sie ein, mit mir zu dem Zimmer auf Station 9D zu gehen, in dem die mysteriöse Gestalt verschwunden war.
    Auf dem Weg den Flur entlang fing ich auf einmal an, vor Angst zu zittern. Das Gesicht des alten Mannes ging mir nicht mehr aus dem Sinn, und es fiel mir schwer, bei meiner Geschichte zu bleiben, dass ich, eine freiwillige Hospizhelferin, eine »gute Freundin« Laurel Werlings sei. Der seltsame Alte war in der Nacht von Madelines Tod auch hier gewesen. Willst du wissen, was Liebe ist? Auf einmal wusste ich, dass ich ihn schon von viel früher kannte und dass ich ihn, als er in der Nacht von Madelines Tod seine Tabletten einnahm, nicht zum ersten Mal gesehen hatte. Kannte ich ihn vielleicht aus meiner Kindheit? 
    Dann kamen wir vor der besagten Tür an.
    Nein. Bitte nicht. Lass es nicht so sein. Schwester Heather öffnete die Tür, die natürlich in Laurel Werlings Zimmer führte. Was wir dort vorfanden, wirkte vorherbestimmt, als wäre es am ersten Schöpfungstag geschehen und hätte seitdem hier, in diesem Zimmer im neunten Stock des Kingdom Hospital, darauf gewartet, von uns entdeckt zu werden.
    Laurel Werling hockte in ihrem Flügelhemd auf dem Boden.
    Ein Bein willkürlich unter dem anderen angewinkelt, lehnte sie mit dem Kopf an einem Heizkörper, und ihre Arme hingen schlaff herab.
    Aus jeder Körperöffnung des Gesichts strömte eine grausige Mischung aus Blut und Serum. Selbst aus den Schleimhäuten ihrer blau geschwollenen Zunge und aus dem Übergang von den Lippen zur Gesichtshaut quoll diese rosafarbene Flüssigkeit hervor, als hätte Gevatter Tod ihr Blut noch rasch mit Wasser vermischt, bevor er es aus ihrem Körper heraussprudeln ließ.
    Ihr restlicher Körper war von dick geschwollenen Blutergüssen übersät, und von den Gelenken ausgehend breiteten sich innere Blutungen sogar jetzt noch, vor unseren angstgeweiteten Augen, wie subkutane Farbkleckse immer weiter aus. Sie sah aus, als wäre sie zwanzig Treppenabsätze hinuntergestürzt und hätte danach ein Bad in Blut und Wasser genommen. »Ruft das Notfallteam!«, rief Schwester Heather.

LAUFENDE ERMITTLUNGEN
    Wer würde mir schon glauben? Mir, einer alten Schachtel, die sich gerade das Gehirn geprellt hatte und angeblich unter epileptischen Anfällen litt? Gegen den Gesundheits- und den Polizeiapparat des ländlichen Maine hatte ich keine Chance.
    Immerhin leitete die Polizei von Lewiston gemeinsam mit dem Sicherheitschef des Kingdom Hospital eine Untersuchung zum Tod von Laurel Werling ein, denn im Gegensatz zur betagten Madeline Kruger, die bei ihrer Einlieferung ins Krankenhaus schon kaum mehr gelebt hatte, war Laurel Werling eine junge, fünfunddreißigjährige Frau und bis auf ihre akute Psychose kerngesund gewesen. Und so durfte ich mehreren Detectives und Untersuchungsbeamten die Fakten so schildern, wie ich sie erlebt hatte: dass ich einen alten Mann in einem weißen Arztkittel mit einer Broschüre über
    Gerinnungshemmungstherapie in der Hand gesehen hatte, dass auf der Broschüre deutlich die Worte Warfarin und Coumadin zu lesen waren und dass mir derselbe Mann mit einer Werkzeugtasche voller Päckchen mit Rattengift über den Weg gelaufen war, auf denen unübersehbar Warnhinweise standen, die ebenfalls das Wort Warfarin enthielten. Es stellte sich heraus, dass Laurel Werling tatsächlich an Warfarin gestorben war, derselben Substanz also, die unter dem Namen Coumadin in der Humanmedizin als Blutverdünnungsmittel zur Behandlung von Blutgerinnungsstörungen eingesetzt wird. Als Rattengift wird sie verwendet, weil sie in hohen Dosierungen starke innere Blutungen verursacht und das Blut nicht mehr gerinnen kann. Ein Mensch, der eine große Menge Warfarin zu sich nimmt, stirbt genau so wie Laurel Werling: Verdünntes Blut strömt aus Lippen, Augen und Schleimhäuten sowie sämtlichen Körperöffnungen, zudem setzen massive innere Blutungen ein, und es kommt zur Ausbildung von Hämatomen.
    Ich muss gestehen, dass ich mich bei meinen Vernehmungen etwas bedeckt hielt und eigentlich sogar verschwieg, dass der alte Mann, den ich zuerst als Arzt im Aufzug und später mit dem Kammerjägerhelm im Gang gesehen hatte, genau derselbe alte Kauz war, der in der Nacht von Madeline Krugers Tod als Patient der Psychiatrie zur Stationszentrale gekommen war.
    Man fragte mich nicht danach, und von mir aus erwähnte ich das Thema nicht. Ich erzählte

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