Das Tagebuch der Eleanor Druse
Nachtkästchen. Die beiden hatten sogar ein Kärtchen geschrieben, was Männer sonst gerne vergessen.
»Gute Besserung, Mrs. D.«, stand da in Dannys Handschrift, und den seltsamen Krakel darunter konnte man mit viel gutem Willen als »Ollie« entziffern. Wie immer schien Danny auch hier derjenige gewesen zu sein, der sagte, wo’s langging.
Bobby hatte mir mal erzählt, dass Danny beim Transport eines Patienten, der KVA (Kurz vorm Abkratzen) oder ALA (Am Löffel Abgeben) ist, immer derjenige ist, der hinten im Krankenwagen die Infusionen legt und den Ambubeutel betätigt. Von den beiden hatte er die größere medizinische Erfahrung, während Ollie der bessere Fahrer war. Allerdings hatte er auch, wie Dr. Hook es ausdrückte, den höheren »Luftdruck im Schädel«. Damit war vermutlich das gemeint, was meine längst verstorbene, deutschstämmige jüdische Großmutter einen »Luftmenschen« genannt hätte.
Ollie empfand eine seltsame Faszination für den Tod, die manche als Spinnerei, andere als Obsession bezeichneten.
Besonders die Augen von Toten hatten es ihm angetan. Bobby und Otto hörten sich manchmal über Funk die grausigen Details an, die Danny durchgab, wenn die beiden wieder einmal ein STVO (was bei ihnen nicht eine Abkürzung für Straßenverkehrsordnung, sondern für Straßenverkehrsopfer war) gefunden hatten: Da ging es um kopflose Leichen, die es durch die Windschutzscheibe geschleudert oder an den Ästen von Bäumen aufgespießt hatte, um Körperteile, die bis in den Motorraum vorgedrungen waren. Da wurde von an den Leitplanken verschmierte Torsos berichtet, von Gehirnmasse, die wie Wackelpudding auf dem Asphalt lag, und menschlichem Fleisch, das wie Gulasch aus dem zerknüllten Blech eines verunglückten Lieferwagens hervorquoll. Oft schloss Ollie diese Schilderungen mit Bemerkungen wie dieser: »Ihr hättet die Augen in dem Kopf sehen sollen. Eines hat in den Himmel gestarrt, und das andere war voller Blutgerinnsel und so weit aufgerissen, als wäre das Letzte, was der arme Kerl gesehen hat, der Satan höchstpersönlich gewesen, der ihm seine Eintrittskarte für die Hölle überreicht hat.«
Danny erzählte manchmal die Geschichte, wie sie von einer Vermieterin zu einem alten Mann gerufen worden waren, der mit einem Burrito in der Hand und einer auf der Sportseite aufgeschlagenen Zeitung auf dem Schoß tot in seinem Bett gesessen war. Ollie hatte dort zuerst einmal wie in einer Art Trance seinen Notfallkoffer abgestellt und dem Verstorbenen lange in die Augen geschaut. Als Danny damit anfing, die Leiche für den Abtransport vorzubereiten, sagte Ollie, immer noch in Augenkontakt mit dem Toten: »Lass ihn doch noch eine Minute so dasitzen, Danny.« Und dann untersuchte er den Toten ganz genau, als wäre er ein Ermittler an einem spirituellen oder metaphysischen Tatort, an dem man sich genau an ein penibel festgelegtes forensisches Protokoll halten müsse. Danny kam es manchmal so vor, als träfe Ollie bestimmte Vorkehrungen für den Fall, dass er eines Tages in den Augen eines Toten auf die Reflexion Gottes oder des Teufels stieß. Vielleicht wollte er hinter den glasigen schwarzen Pupillen aber auch nur den letzten Gedanken des Toten erkennen, bevor dieser für immer seine sterbliche Hülle abgelegt und sich ins Jenseits aufgemacht hatte.
Fanden sie Tote mit geschlossenen Augen, schien Ollie immer ein wenig enttäuscht, wie ein Pathologe, dem man eine Autopsie verweigert, oder ein Sammler, dem ein besonders schönes Stück durch die Lappen geht.
Danny sagte, dass er am liebsten eine private Rentenversicherung abschließen und jedes Mal einen Dollar einzahlen würde, wenn Ollie sagte: »Schau dir diese Augen an, Danny.«
Als die Jungs mit den Blumen in meinem Krankenzimmer auftauchten, dachte ich zuerst, sie wollten mir nur einen kurzen Höflichkeitsbesuch abstatten, aber dann machten sie die Tür zu, zogen sich Stühle neben mein Bett und nahmen Platz.
»Mrs. D. wir müssen mit Ihnen reden«, sagte Danny und machte mit seiner Hand eine kreisförmige Bewegung, die wohl bedeuten sollte, dass das, was wir besprechen würden, unter uns bleiben müsse.
»Wir haben nämlich die Geschichte von Ihnen und diesem Dr. Rattentod gehört, Mrs. D.«, ergänzte Ollie. »Und wir finden, dass Ihnen da von der Polizei und der Krankenhausleitung nicht der nötige Respekt entgegengebracht wird.«
»Nun, man hat mich nicht gerade wie eine wichtige Zeugin behandelt«, sagte ich. »Eher wie eine
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