Das Tagebuch der Eleanor Druse
und hatte deshalb weder Zeit noch Geduld für eine ärztlich verordnete Auszeit. Allerdings wagte ich es nicht, Dr. Massingale meine Entscheidung mitzuteilen, und deshalb tat ich weiterhin so, als würde ich brav meine Tabletten nehmen, spuckte sie aber, sobald die Schwester das Zimmer verlassen hatte, wieder aus und spülte sie die Toilette hinunter. Böses Mädchen! Den Rückständen der Medikamente in meinem Körper rückte ich mit Mondlicht, Salbei-Aromatherapie und intensiven Meditationen auf den Leib, bei denen mich mein bevorzugter Heilkristall unterstützte. Bald spürte ich, wie frische Lebenskraft meine müden Knochen wieder munter machte, so dass ich mit Hilfe meines Pendels die Flure und Stationen des Krankenhauses nach Störungen und harmonischen Konvergenzen absuchen konnte.
In der Ladd Library am Faust College bestellte ich mir telefonisch Vergrößerungen von den Microfiches der Zeitungsberichte über den Brand des alten Krankenhauses im Jahr 1939. Man sagte mir, dass das einige Zeit in Anspruch nehmen würde.
Kurz darauf beging ich den ersten Fehler. Ich hätte auf Bobby hören sollen, aber ich tat es nicht. Madelines Abschiedsbrief, oder besser gesagt, das Nichtvorhandensein desselben, ging mir nicht aus dem Kopf. Sie musste ihn irgendwo im Haus zurückgelassen haben, bevor sie ihren Kopf ins Backrohr gesteckt hatte. Ich fand es unerträglich, dass ich nur Teile daraus kannte. Verflixt und zugenäht, diese Frau war schließlich Schriftstellerin gewesen, und schon anhand der kurzen Passage, die mir ihr Sohn Ray abgeschrieben hatte, war mir klar geworden, dass es sich dabei um einen sorgfältig durchdachten und gut formulierten Brief handeln musste: Ich will ihr nicht mit grausigen Erinnerungen ihren Seelenfrieden rauben. Sally hat ihre Narben vergessen, aber meine Wunden schwären immer noch.
Ich wollte den ganzen Brief sehen. Wenn ich vom Krankenhaus aus anrief, würde auf dem Telefon der Krugers nicht meine Privatnummer erscheinen und Hilda oder wem auch immer signalisieren, dass Sally Druse am anderen Ende der Leitung war. Also hielt ich den Atem an und griff zum Hörer.
Ich hätte es nicht tun sollen.
Nachdem es ein paar Mal geläutet hatte, meldete sich eine schüchterne Frauenstimme mit einem kaum hörbaren »Hallo«.
»Hallo, hier spricht Eleanor Druse, Sally Druse. Ich war eine gute Freundin von Madeline Kruger. Mit wem spreche ich bitte?«
»Ich bin Peggy«, antwortete die Frauenstimme. »Peggy Kruger. Ich bin Madelines Tochter.«
»Hallo, Peggy. Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind, aber ich war als junges Mädchen mit Ihrer Mutter sehr gut befreundet, und sie hat versucht, mich in der Nacht zu erreichen, in der sie … verstarb. Ich war in dieser Nacht sogar noch bei ihr im Krankenhaus.«
»Sie waren dort?«
Peggy hörte sich an, als sei sie geistig etwas minderbemittelt.
Sie war nicht unfreundlich, schien aber weder von mir noch von den Papieren, die ihre Mutter hinterlassen hatte, etwas zu wissen. Während ich auf den unterschiedlichsten Wegen versuchte, etwas über möglicherweise vorhandene Dokumente oder Abschiedsbriefe in Erfahrung zu bringen, rutschte Peggy heraus, dass Hilda für den Rest der Woche in New York sein würde.
»Ach so«, sagte ich. »Wäre es dann vielleicht möglich, dass Sie nach Unterlagen oder Abschiedsbriefen suchen könnten, in denen eine Sally Druse oder Eleanor Druse erwähnt wird? Ihre Mutter hat mich in einer Nachricht um Hilfe gebeten, und ich möchte gerne genauer wissen, was sie von mir wollte. Meinen Sie, Sie könnten vielleicht die Unterlagen Ihrer Mutter durchsehen, ob Sie irgendwo den Namen Sally Druse oder Eleanor Druse finden?«
»Sicher«, sagte Peggy, aber ihre Stimme klang so hohl wie ein Flaschenkürbis ohne Kerne. »Sicher, das kann ich machen.
Ich soll also nach Unterlagen suchen, in denen eine Sally erwähnt wird, ist das so richtig?«
»Ja, Sally Druse«, sagte ich. »Oder Eleanor Druse. Sie würden mir damit wirklich sehr helfen.«
Ich gab ihr meine Telefonnummer im Krankenhaus und bat Peggy, mich sofort zu benachrichtigen, sobald sie etwas gefunden hatte. Ich könnte Bobby dann schnell zu ihr rüberschicken, damit er die Papiere abholte, bevor – na ja, das sagte ich ihr natürlich nicht – bevor Hilda aus New York zurückkam.
Nach dem Telefonat bestellte ich Bobby zu mir. Ich war ganz freundlich zu ihm und warf ihm auch nicht vor, dass er mir nicht erzählt hatte, was mit Dr. Egas geschehen
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