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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sind wie schon seit zwanzig Jahren nicht mehr, und nachfragen, ob man schon den Bankberater angerufen und einen Termin vereinbart hätte. In meinem Fall war es Bobby, der Lenny und mich in unserer kleinen Oase der Ruhe störte und dafür nicht einmal ein Wort der Entschuldigung fand. Er schob einen Rollstuhl vor sich her, auf dessen Sitz zwei dicke, staubige Registraturmappen und ein kleines Diktiergerät lagen.
    Guter Junge! Die Mappen ließen in mir die Hoffnung aufkeimen, dass er im Archiv des Krankenhauses schließlich doch noch aufschlussreiche Unterlagen über den Krankenhausbrand aufgetrieben hatte. Ich griff nach den Mappen, aber dieser freche Bengel gab mir doch tatsächlich einen Klaps auf die Hand, als wäre ich ein dummes Kind, das gerade nach einem Topf mit kochendem Wasser greift. Und das bei der eigenen Mutter! War das zu fassen? Noch bevor er zu sprechen anfing, legte ich den Finger auf die Lippen und sagte »Psst!«, denn an seinen glänzenden Augen und seinen bebenden Lippen erkannte ich sofort, dass er viel zu laut werden würde. Wie vielen anderen Krankenhausangestellten war ihm die Privatsphäre anderer ein Fremdwort. Und das nicht nur im Hinblick auf Lenny und mich. Bobby hatte die anderen Patienten auf der Station, die allesamt im Sterben lagen, nicht eines Blickes gewürdigt. Es war ihm egal, ob sie gerade Frieden mit sich selbst und ihrem Schöpfer schlossen, ob sie Schmerzen hatten oder von Krankheiten aufgezehrt wurden und vielleicht schon mit den Geistern ihrer Lieben kommunizierten. Bobbys Gedanken drehten sich nur um eines: Er war wütend auf mich.
    »Bobby, ich lese Lenny gerade etwas vor. Was gibt es denn?«
    Er stellte den Rollstuhl direkt vor mir neben Lennys Bett ab und fing an, sich mit beiden Händen die Stirn zu reiben, was er äußerst selten tat, eigentlich nur dann, wenn ihm etwas so sehr zu Herzen ging, dass er sich wirklich große Sorgen machte oder es mit der Angst zu tun bekam. Einhändiges Stirnreiben bedeutete Probleme, beide Hände bedeuteten große Probleme.
    Wahrscheinlich war sein Computer abgestürzt und hatte sein Warcraft unbrauchbar gemacht.
    »Was hast du getan, Mom?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Bobby, aber ich denke, du wirst es mir gleich sagen.«
    »Hast du Peggy Kruger angerufen und ihr gesagt, dass sie die Sachen ihrer Mutter nach einem Abschiedsbrief durchsuchen soll?«
    Das war einfach. Das hatte ich nicht getan.
    »Nein, Bobby, ich habe sie nur darum gebeten, mir Aufzeichnungen herauszusuchen, die an mich adressiert sind oder in denen ich erwähnt werde und von denen Madeline wollte, dass ich sie bekomme.«
    Bobby lief aufgeregt auf und ab und fuhr sich mit beiden Händen durch sein ungekämmtes Haar, als würde er es sich am liebsten büschelweise ausreißen. 
    »Mom, Rays kleine Schwester hat nicht alle Tassen im Schrank. Peggy hat das geistige Betriebssystem einer Neunjährigen. Du hast sie völlig durcheinander gebracht, Mom. Seit deinem Anruf schlägt sie ständig ihren Kopf auf den Boden, sticht sich mit Gabeln und heult den ganzen Tag wegen eines Babys, das sie vor zehn Jahren hier im Krankenhaus tot auf die Welt gebracht hat. Das hat sie in alten Papieren gelesen, die Hilda zusammen mit anderen Familiengeheimnissen in einer Schachtel vor ihr versteckt und die Peggy jetzt gefunden hat, weil du ihr gesagt hast, dass sie die Sachen durchsuchen soll. Ray hat mir erzählt, dass Hilda bei ihrer Rückkehr aus New York fast der Schlag getroffen hätte.«
    Oh. Möglicherweise war ich über das Ziel hinausgeschossen.
    Nur ein klein wenig.
    »Hilda ist jetzt auf dem Kriegspfad, Mom. Sie hat schon einen Anwalt konsultiert. Und Peggy liegt hier im Krankenhaus. Ja, richtig, auf der Psychiatrie, und wenn du auch nur in ihre Nähe kommst, wird Hilda die Polizei verständigen und dich mitsamt deiner Neugier ins Gefängnis stecken lassen, das kann ich dir sagen. Sie will jetzt schon eine einstweilige Verfügung gegen dich erwirken, damit du mit deiner Schnüffelei wegen dem Tod ihrer Mutter aufhörst.«
    Natürlich ging mir das alles nahe, aber andererseits dachte ich mir, dass Hilda eine Mitschuld an dem trug, was mit ihrer Schwester geschehen war. Schließlich hätte sie die Sachen schon vor Wochen herausrücken können. Juristisch gesehen hatte ich selbstverständlich kein Recht, Madelines Abschiedsbrief einzusehen, aber vom moralischen Standpunkt aus fand ich es einfach unmöglich, dass man mir ein Schriftstück vorenthielt, in dem ich erwähnt

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