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Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wurde und das sich auf unsere gemeinsam verbrachte Kindheit bezog. Die jungen Menschen heutzutage haben einfach keinen Respekt mehr vor den Wünschen ihrer Eltern. Arrogant, wie sie sind, nehmen sie sich das Recht heraus, zu bestimmen, was für Menschen über fünfundsechzig gut ist und was nicht. Als wären alle älteren Menschen bis zum Beweis des Gegenteils erst einmal unzurechnungsfähig. Weisheit zählt heute überhaupt nichts mehr.
    »Du kannst es einfach nicht lassen, Mom«, sagte Bobby.
    »Überall musst du herumschnüffeln. Hilda ist übrigens gerade hier und kümmert sich um Peggy. Und sie sucht nach dir. Am besten gehst du jetzt wieder auf dein Zimmer und lässt dir eine Wache vor die Tür stellen. Hilda ist hinter dir her wie eine Harpyie direkt aus der Hölle, und wenn sie dich erwischt, rupft sie dir jedes deiner melierten Haare einzeln aus. Und, ehrlich gesagt, ich kann es ihr nicht einmal verübeln.«
    »Was hast du denn da für alte Akten mitgebracht, Bobby?«, fragte ich so freundlich wie möglich.
    »Mom, ich möchte jetzt, dass du dich von Mr. Stillmach verabschiedest und mit mir auf dein Zimmer kommst.«
    »Wenn ich das tue, sagst du mir dann, was in diesen Mappen ist?«
    »Ja, Mom«, seufzte Bobby. »Und jetzt setz dich da rein.« Mit diesen Worten schob er den Rollstuhl noch näher an mich heran.
    »Ich brauche keinen Rollstuhl, Bobby.«
    »Das weiß ich«, antwortete er zähneknirschend und knurrte seine kranke alte Mutter regelrecht an: »Aber wenn du hier wegen Schwindelgefühlen behandelt wirst, dann haben die Ärzte nun einmal Angst, dass du wieder umfällst und dir auf dem Steinfußboden deinen Schädel ein zweites Mal prellst. Jetzt setz dich schon rein, Mom.«
    »Danke für das Diktiergerät, Bobby. Das war wirklich nett von dir, dass du mir so rasch eins besorgt hast.«

ZWEITER BLICK IN DEN SCHACHT
    Später fand ich heraus, warum Bobby so aufgebracht war.
    Mich von der Station Sonnenschein abholen zu müssen bedeutete für ihn so etwas wie unbezahlte Überstunden. Als Schwester Howe ihn von der Psychiatrie aus wegen der Sache mit Peggy Kruger anrief, hatte er gerade seinen Dienst beendet und sich schon darauf gefreut, zu Hause ungestört seine Pfeife rauchen und gemütlich eine Runde Bloodfest spielen zu können. Jetzt musste er noch im Krankenhaus bleiben und sich um mich kümmern, und das, nachdem er die halbe Nacht lang eine vierköpfige Familie, die bei einer Massenkarambolage auf der Interstate 495 schwer verletzt und um halb eins morgens in die Notaufnahme eingeliefert worden war, durchs Krankenhaus geschoben hatte. Schwester Liz Hinton, die uns im Gang begegnete, machte sich über ihn lustig und meinte, als Pfleger habe er jetzt vielleicht Dienstschluss, aber als Sohn sei er rund um die Uhr im Dienst.
    Während Bobby mich in meinem Rollstuhl am Schwesternzimmer der Station Sonnenschein vorbeischob, grummelte er irgendetwas Unverständliches vor sich hin.
    Schwester Brick Bannerman kam gerade aus der Tür und grüßte mich im Vorbeigehen. Ich fand, sie sah ungewöhnlich mitgenommen aus. Später erfuhr ich, dass Brick und Liz gerade in die Notaufnahme beordert worden waren, wo höchste Alarmstufe herrschte. Ein berühmter Künstler – einer der bedeutendsten Bürger Maines – war beim Joggen auf der Route 7 bei Warrington’s Inn von einem Kleinbus erfasst und schwer verletzt ins Kingdom Hospital eingeliefert worden, wo sich, mochte es nun Zufall oder eine Fügung des Schicksals sein, bereits die Hauptakteure eines bevorstehenden Dramas sammelten wie von einem Magneten angezogene Eisenspäne.
    An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte war. Abgesehen von einem ab und zu auftretenden leichten Schwindelgefühl und einem gelegentlichen Kribbeln im Arm war ich putzmunter: Ich nahm keine Medikamente und genoss es, häufig zu meditieren.
    Bis auf das Kribbeln war körperlich alles im grünen Bereich an diesem angenehm sonnigen Tag. Vielleicht war ich zu Bobby etwas zu griesgrämig, aber das war reiner Selbstschutz.
    Weil er so tat, als wäre mein Anruf bei den Krugers ein schlimmes Verbrechen gewesen, musste ich ihm wohl im Gegenzug ein paar seiner eigenen Schwächen unter die Nase gerieben haben: seine Raucherei, sein Übergewicht und seine Schusseligkeit, die er schon von Geburt an hatte, alles körperliche und charakterliche Schwächen, die auf jede halbwegs vernünftige Frau abstoßend wirken

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