Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tagebuch der Eleanor Druse

Das Tagebuch der Eleanor Druse

Titel: Das Tagebuch der Eleanor Druse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Korridore, schien auf einmal nur so zu vibrieren von Farbe und Licht.
    Das aufgeregte Geplapper hinter mir in der Stationszentrale, von wo aus Bobby die Aufzugmonteure angerufen hatte, hörte ich kaum. Wenn Aufzüge gewartet werden, dürfte die Tür normalerweise nicht aufgehen. Kaum auszudenken, was da alles hätte passieren können! Ebenso wie die Ärzte hier am Kingdom Hospital waren auch die Schwestern hoffnungslos in den Niederungen der rational erklärbaren Wissenschaft und Technik gefangen und liefen mit Scheuklappen gegen alles andere durch die Gegend. Und so warteten wir geduldig, bis die Monteure die schnöde Mechanik dieser unaussprechlich langweiligen irdischen Welt in Ordnung gebracht hatten, und dann machte Bobby einen weiteren Versuch. Er schob mich zu den Aufzügen und drückte den Abwärts-Knopf. Alle waren sich einig, dass wir diesmal nicht Aufzug 3 nehmen sollten.
    Feiglinge! Also warteten wir auf einen der beiden anderen Aufzüge, und ich hörte, wie Bobby hinter mir wieder zu murmeln anfing. Er war wohl immer noch sauer, vermutlich wegen dieser Peggy-Kruger-Geschichte oder weil er eigentlich schon Feierabend hatte und sich trotzdem noch mit einem Fiasko nach dem anderen herumschlagen musste. Ganz zu schweigen davon, dass er seine im Rollstuhl sitzende Mom um ein Haar in einen zehn Stockwerke tiefen Aufzugschacht in den Tod geschoben hätte.
    Ich holte meine Lesebrille aus der Tasche meines Morgenmantels, setzte sie auf und verdrehte meinen arthritischen Hals so weit, bis ich einen Blick auf die Reiter der beiden Registraturmappen werfen konnte, die Bobby sich unter den Arm geklemmt hatte. Leider hielt er sie so, dass ich nicht erkennen konnte, ob ihr Inhalt etwas mit mir oder Madeline Kruger und unserer gemeinsamen Vergangenheit zu tun hatte.
    Die Aufzugglocke ertönte, und über der Tür von Lift 2 leuchtete das grüne Licht auf. Als sie sich öffnete, war ich darauf gefasst, eine Szene aus der unteren Hälfte von Hieronymus Boschs Jüngstem Gericht zu erblicken, aber stattdessen sah ich nichts als die gewohnte, alte Aufzugkabine.
    Wenigstens war sie leer, so dass Bobby und ich einen Augenblick ungestört waren.
    Mein Sohn kramte mit verdrießlichem Gesicht in seiner leeren Hemdtasche herum und stöhnte dann. »Mom, ich habe dir von zu Hause einen Brief mitgebracht. Er ist von deiner Freundin in Boston, der Krankenschwester.«
    »Von Claudia?«
    »Genau. Ich habe ihn mit ins Krankenhaus genommen, aber ich muss ihn wohl in meinem Spind vergessen haben. Ich bringe ihn dir nach der Mittagspause.«
    »Ja, bitte. Ich bin schon neugierig, was Claudia mir diesmal schreibt. In ihrem letzten Brief teilte sie mir mit, dass ihr Mann Arbeit bei einer Computerfirma gefunden hat.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ist das nicht erfreulich?«, fragte ich. »Was sind das eigentlich für Mappen? Sie sehen ziemlich alt aus.«
    »Das sind sie auch, Mom«, antwortete Bobby. »Aber ich weiß nicht so recht, ob ich sie dir wirklich geben soll. Sie haben etwas mit dir und Madeline Kruger zu tun, und wenn du jemals wieder auch nur irgendjemanden wegen dieser Frau oder ihrem Abschiedsbrief anrufst oder ansprichst oder auch nur an sie denkst, ich schwöre dir, dann …« 
    »Das werde ich nicht tun, Bobby. Gibst du mir jetzt bitte die Mappen? Was ist denn überhaupt drin?«
    Pling. Der Aufzug blieb stehen. Ich blickte hinauf zu den Zahlen über der Tür und erkannte plötzlich, dass das Blech am Dach der Kabine noch immer verrutscht war wie vorhin, als ich beim Aufwärtsfahren das an alle Qualen der Verdammten erinnernde Weinen des Kindes gehört hatte. Aber ich sah noch etwas. Wir hielten im neunten Stock, wo sich die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses befand, wo ich Dr. Rattentod gesehen hatte und wo …
    Die Tür ging auf, und ich erblickte eine teutonisch anmutende Frau mittleren Alters, die so aussah, als wäre ihr Hobby Gewichtheben. Mit ihrer kräftigen, aber nicht korpulenten Statur hätte sie gut und gerne als Walküre in einer Wagneroper in der Met auftreten können. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter war ebenso wenig zu übersehen wie die Tatsache, dass Hilda Kruger stocksauer, um nicht zu sagen fuchsteufelswild war.
    In der Hand hatte sie eine abgegriffene alte Ablagemappe, die im Laufe der Jahre mehrfach mit Heftklammern und Klebeband repariert und von einem Bindfaden zusammengehalten wurde. Ich konnte nicht lesen, was auf den Reitern stand, aber auf die Vorderseite hatte jemand mit dickem schwarzem

Weitere Kostenlose Bücher