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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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tat.«
    Ich ging zu der Stelle, an de r das Bett sich befunden hatte. »Hier stand ein Tisch. Ich habe geschrieben. Jeden Tag. Bevor ich ins Bett musste. In ein Tagebuch.«
    Dave blickte mich überrascht an. »Ein Tagebuch? Echt?«
    Ich nickte, konnte Daves Überraschung nur allzu gut verstehen.
    Dieses Tagebuch war mein Freund. E ines Tages hatte ich begriffen, dass es mein einziger Freund war. Dass ich nur ihm alles anvertraute. Nur das Tagebuch wusste Rat. Ich saß auf dem alten Holzstuhl und habe geschrieben. Habe Fragen gestellt und d ann die Augen geschlossen. D as Tagebuch hatte mir dann die Antworten geliefert.
    »Any«, sagte ich leise und verstand: Ich benutzte das Tagebuch, um mit Any zu sprechen. Sie hatte geantwortet. Mit Bildern. All diese Bilder hatte sie mir durch mein Tagebuch geschickt. Und dann hatte ich das Buch für immer geschlossen. Von einem Tag auf den anderen. Es war ein Bild, das mich dazu bewegt hatte. Ein derart Schreckliches, dass ich nie wieder Bilder von Any empfangen wollte. Ich wollte es vergessen. Ich hatte noch nie in meinem Leben eine derartige Angst verspürt. Und dann hatte ich es vergessen. Bis zu diesem einen Traum, wo es durch ein Schlupfloch in mein Bewusstsein zurückkam .
    Ich schloss die Augen und meinte Any zu spüren. Sie war da. In diesem Haus. All die Zeit hatte sie hier auf mich gewartet. Aber wie damals spürte ich auch jetzt diese Angst. Sie füllte mich aus wie Helium einen Luftballon. Dieses eine Bild. Ich konnte es vor mir sehen. Die schwarze Tür. Ich stieß sie auf, leuchtete mit einer Taschenlampe in den Raum.
    »Jack?« Dave schüttelte mich. »Jack!«
    Ich öffnete die Augen. Dave hatte die Lampe auf den Boden gelegt und hielt mich mit beiden Händen an den Oberarmen. »Alles okay? Du bist auf einmal umgekippt, hast gezittert. Meine Güte! Was ist denn los?«
    »Nichts«, sagte ich. »In diesem Zimmer ist nichts. Hier finden wir meinen Vater nicht. Aber ich kann mir vorstellen, wo er sich versteckt haben könnte.«
    Schmale Betonstufen führten gewendelt in den Keller. Obwohl Dave mit der Lampe versuchte, uns ausreichend Licht zu geben, war jeder Schritt riskant. Dazu nagte dieses Gefühl in mir, dass ich schon als Junge eine Höllenangst vor dieser Treppe gehabt hatte. Nicht vor den Stufen, sondern vor dem, wo sie hinführten.
    Je mehr Stufen wir hinabgestiegen waren, desto intensiver wurde der Verwesungsgeruch. Hatte Dave beim Betreten des Haus es noch etwas Kleines vermutet, so war ich jetzt davon überzeugt, dass etwas Kleines nicht ausreichte, um diesen Gestank zu verursachen. Und doch hatte ich das Gefühl, dass es in diesem Keller schon immer gestunken hatte. Als wäre es das Haus, das Stück für Stück verwesen würde.
    Wasser t ropfte unregelmäßig auf Beton. Selbst im Keller hörte ich den Wind heulen. Dieses Pfeifen, das sich jetzt wieder wie Kinderstimmen anhörte. Ein Platschen ließ Dave und mich zusammenzucken.
    »Scheiße!«, zischte Dave. »Was war das? Hat sich angehört wie ein Stück Fleisch, das auf den Boden geknallt ist.«
    I ch schwieg, da i ch fürchtete, Dave würde in jedem Wort meine Angst hören. O bwohl er mein Freund war, wollte ich nicht, dass er mich für einen Feigling hielt.
    »Und dieser Gestank!«, rief Dave aus. »Passt irgendwie zu dem Geräusch.«
    Wieder dieses Pfeifen. Es schien lauter zu werden. Mit ihm diese Kinderstimmen. Diesmal fragte ich Dave nicht, ob er sie auch hörte. Mittlerweile wusste ich, dass sie für mich bestimmt waren. Nur für mich.
    Im Keller befand sich ausschließlich Gerümpel. Alte Möbel, die hier offensichtlich Jahrzehnte vor sich hinfaulten, Holzlatten, Autoreifen, der Rahmen eines Fahrrades. Dinge, die wohl jedermann in seinem Keller aufbewahrte. An einer Wand befanden sich Stahlregale, worauf alle möglichen Arten von Werkzeug gelagert wurden.
    Wieder dieses Platschen. Wieder zuckten wir zusammen. Es kam aus dem Eck neben dem Kellerfenster. Dave leuchtete auf den Boden. Auf einen Haufen Schlamm. Über dem Haufen war ein Rohr in der Wand eingelassen. Ein Durchlass vermutlich, durch den man ein Stromkabel in den Garten leiten konnte. Bei starkem Regen wurde demnach die schlammige Erde durch das Rohr gedrückt und fiel hier auf den Betonboden.
    »Schlamm«, sagte Dave und grinste. »Keine Fleischstücke.«
    Ich nickte und betrachtete den Raum. Sie musste hier irgendwo sein. Ich drehte mich zur Treppe und ging zu einer Nische neben dem Treppenaufgang.
    »Hier«, sagte ich. Dave leuchtete

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