Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
Wind war ich froh, dieses Haus verlassen zu haben. Dave sog wie ich die Nachtluft in tiefen Zügen ein. Wir standen vor der Veranda und genossen es, wie der Rege n auf unsere Körper prasselte, a ls würde er all den Dreck und Gestank dieses Hauses von uns abspülen.
Wir waren uns einig, dass wir genug Hinweise gefunden hatten. Die Bilder im Wohnraum und im Keller waren Beweis genug, einen gerechtfertigen Verdacht entstehen zu lassen und das NYPD davon zu überzeugen, dass ein wahnsinniger Mörder auf der Suche nach seinem nächsten Opfer war.
Dass mein Vater das Bild nicht fertig gemalt hatte, konnte mehrere Ursachen haben. Vielleicht hatte er sich auf die Gesichtszüge noch nicht festgelegt? Vielleicht genoss er dieses Gefühl, sich mehrere Optionen offen zu lassen und erst kurz vor der Entführung die Gesichtszüge zu malen?
Vielleicht hatte er aber auch keine Zeit, das Bild fertig zu malen. Vielleicht wurde er gestört. Von uns. Und vielleicht würde er uns genau in diesem Moment beobachten.
Auf alle Fälle würde er dieses Bild nicht vollenden können. Ich trug es zusammengerollt unter meinem T-Shirt. Dass es nass werden würde, beunruhigte mich in keiner Weise. Ich brauchte das Bild nicht mehr. Und den Hinweis, dass es sich um ein Mädchen mit dunklem, langem, gelocktem Haar handeln würde, konnte ich der Polizei auch ohne Bild geben.
Mein Handy vibrierte in der Gesäßtasche. Eine Nachricht. Ich hatte einen Anruf versäumt, was ich auf den fehlenden Empfang im Keller zurückführte. Es war Hearing. Während wir zu Daves Mustang gingen, wählte ich seine Nummer.
Hearings Stimme klang munter, was zu dieser Nachtzeit – es war kurz vor Mitternacht – keine Selbstverständlichkeit war. Er kam gleich zur Sache und teilte mir mit, dass er mit Detective Hiller vo m NYPD gesprochen hätte.
»Sie bekommen Ihre Exhumierung«, sagte er ohne Umschweife, während ich mich in den Sitz des Fords quetschte und die Wagentür schloss. Obwohl ich fest damit gerechnet hatte, dass die Polizei darauf anspringen würde, freute ich mich über diese Mitteilung. Zeugte sie doch davon, dass auch das Department meinen Verdacht als plausibel einstufte und nicht als die Wahnvorstellung eines Irren. Ich fragte Hearing, ob es schwierig gewesen wäre, Hiller davon zu überzeugen.
»Ihre Beschreibung der Mädchen stimmt mit vier Vermisstenmeldungen überein. Hiller hat sich bei Doktor Overlook erkundigt und sie hat bestätigt, dass sie Ih nen eine Mappe mit Zeichnungen I hres Vaters gegeben hatte. Somit war Hillers Entscheidung nicht besonders schwierig gewesen.«
»Ich habe fest daran geglaubt«, sagte ich zu Hearing und fragte ihn, wann die Exhumierung stattfinden sollte, mit dem Hinweis, dass mein Vater offenbar eine weitere Entführung plante.
»Hiller will es sofort machen. Er hofft, drei der fünf Mädchen lebend zu finden. Um eine Großfahndung in die Wege zu leiten, braucht er aber den Beweis, dass die Leiche auf Hart Island nicht Edward Reynolds ist. Daher sollen Sie sofort zur Fähre nach Hart Island kommen. Er wartet dort mit seinem Team auf Sie.«
»Ich soll da mit?«, fragte ich ihn, da ich von dieser Idee alles andere als begeistert war. Dave blickte zu mir, zeigte auf sich und schüttelte energisch den Kopf.
»Zumindest zur Fähre. M it den Bildern. Hiller braucht I hre DNS, damit er einen Vergleich hat, um die Identität der Leiche festzustellen. Außerdem meinte er, das s es nicht schlecht wäre, wenn S ie die Leiche vor Ort identifizieren könnten. Wenn Sie nämlich gleich sagen können, dass das I hr Vater ist, erspart sich das NYPD die Analyse der DNS.«
Ich sicherte Hearing zu, dass ich innerhalb der nächsten Stunde bei der Fähre eintreffen würde. Die Bilder hatte ich ohnehin dabei. Auch bestätigte ich ihm, mit auf die Insel zu fahren.
Dave blickte mich zweifelnd an. »Ohne mich«, sagte er und schüttelte abermals den Kopf. »Ich bin hundemüde und nach all dem Bullshit, den ich heute gesehen habe, brauche ich nicht noch ein nettes Bild von einer verwesten und verbrannten Leiche. Ich glaube ohnehin, dass ich nie wieder an etwas anderes denken kann als an diese Bilder, dieses Haus und den Gestank.«
Ich gab ihm Recht und sagte ihm, dass er für heute genug geholfen hätte und dass ich die Exhumierung auch ohne ihn schaffen würde. Mit stillem Dank nahm er meine Zustimmung zur Kenntnis.
Dave konnte nach Hause fahren, die Tür seines Appartements schließen und den Horror aussperren. Während ich in die
Weitere Kostenlose Bücher