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Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
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in meine Richtung. Der Lichtstrahl zeichnete einen scharfen Kreis auf das Türblatt. Das Holz war durch die Feuchtigkeit im Keller aufgequollen und warf längliche Beulen. Manche waren aufgeplatzt wie überreife Eitergeschwüre. Die Farbe war verwittert. Aber an ein paar Stellen konnte man erkennen, dass diese Tür ursprünglich schwarz gestrichen war.
    Dave betrachtete den Kellerraum und schien nachzudenken. »Da muss sich ein ziemlich großer Raum dahinter befinden«, sagte er. »Wenn das ganze Haus unterkellert ist.«
    Ich legte den Zeigefinger auf meinen Lippen und deutete auf mein rechtes Ohr. Dann auf die Tür. Ein leises Kratzen war zu hören. Hinter der Tür war etwas. Dave nickte. Ich holte tief Luft, drehte den Türknauf. Abgeschlossen.
    Ich kramte in meiner Hosentasche nach dem Schlüsselbund. Bereits der erste Schlüssel öffnete das Schloss. Mit leisem Knarzen schwenkte das Türblatt in die Finsternis. Verwesung hüllte uns ein wie eine giftige Wolke.
    »Scheiße!«, brüllte Dave.
    Ich hustete und spürte, wie mein Mageninhalt nach oben drängte. Dave stolperte zurück zum Kellerfenster und riss es auf. Ich folgte ihm und wir sogen nasskalte Luft in unsere Lungen. Da ve leuchtete in Richtung Tür, wohl um sicher gehen, dass niemand den Raum verließ , falls sich jemand darin aufgehalten hatte .
    Wir stellten fest, dass es Tage dauern musste, bis sich der Gestank verzogen hatte, worauf Dave auf die Idee kam, unsere T-Shirts auszuziehen und als Geruchsfilter zu verwenden. Es funktionierte nicht hundertprozentig, aber doch so, dass wir den Raum hinter der schwarzen Tür betreten konnten, ohne uns zu übergeben.
    Dave leuchtete auf den Boden. Der Lichtstrahl zitterte. »Ratten«, sagte er. Am Boden lagen etwa zehn Kadaver in der Größe einer Katze. Ein Leib war aufgeplatzt , als h ä tte ein Tier begonnen, den Kadaver zu fressen. Eine Ratte huschte durch den Lichtstrahl an uns vorbei und rannte aus dem Raum.
    »Wo kommen die her?«, fragte Dave und ließ den Lichtstrahl die Wand hinter den Ratten nach oben gleiten . Ein Lüftungsgitter. Am unteren rechten Eck fehlte ein Stück.
    »Müssen wohl von draußen einen Weg he reingesucht haben«, vermutete ich. »Und hier dann verhungert sein. Bis auf diejenigen, die zu Kannibalen geworden sind.« Wieder spürte ich meinen Magen sich zusammenziehen. Dave dürfte ähnlich empfinden. Hustend wandte er sich von den Kadavern ab und leuchtete den restlichen Raum aus. Die Wände waren mit Brettern verkleidet. Das Holz sah nicht verwittert aus. In Anbetracht der Feuchtigkeit, die zweifellos hier unten herrschte, waren die Latten höchstens vor einem oder zwei Jahren montiert worden. Obwohl der Gestank ekelhaft war und ich immer noch das Gefühl hatte, dieser Raum beherberge etwas Böses, fühlte ich doch eine gewisse Wärme von dem Holz ausgehen.
    »Wahnsinn!«, rief Dave. Er leuchtete auf einen Tisc h, der im Eck links neben der Tür stand. Darauf lagen Stifte und verschiedene Verpackungen, in denen vermutlich Farben und anderes Malzubehör aufbewahrt wurden. Auf der Wand dahinter hingen etwa dreißig Bilder unterschiedlichster Art. Kohlezeichnungen, Aquarelle, Zeichnungen mit Kreide und Wachsmalstifte gemalt. Jedes Bild zeigte das gleiche Motiv. Die Balletttänzerin. Das blonde Mädchen in dem hellblauen Kleid. Allerdings ohne Stahlseile. Auf jedem Bild tanzte sie. Mit traurigen Augen und versuchtem Lächeln auf den blutroten Lippen.
    »Es ist das Atelier meines Vaters«, sagte ich. »Hier hat er sich eingeschlossen, um seine perversen Phantasien zu malen.«
    Dave leuchtete auf eine Staffelei. »Er ist hier gewesen«, sagte er und zeigte auf das Papier, das auf der Staffelei neben dem Tisch festgeklemmt war. Offenbar hatte mein Vater nach Patricias Tod ein neues Motiv gefunden.
    Das Bild war mit einem Kohlestift gezeichnet und zeigte wiederum ein Mädchen. Es lag in einem skizzenhaft angedeuteten Bett. Nackt.
    »Ja, zweifellos. Er war hier.« Ich blickte Dave an. Unsere Überzeugung resultierte aus einer einfachen Tatsa che: Das Bild war nicht fertig gemalt.
    Mein Vater hatte den Körper in allen Details gezeichnet. Die schwarzen langen Locken, die über die Schultern auf das Kissen fielen. Die Arme, die aus dem Bild zu ragen schienen und die Hände, die scheinbar darum bettelten, dass jemand das Mädchen aus diesem Bild zog. Alles hatte mein Vater in reinster Vollendung auf das Papier gebannt.
    Nur das Gesicht fehlte.
     
    Trotz Regen und immer noch stürmische m

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