Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
Bilder.«
Bob kam mit drei sicheren Schritten näher und reichte ihm die Tüte. Hiller entnahm die Zeichnungen und gab Bob die Tüte zurück
Hiller blätterte die Zeichnungen durch. Jedes Mal, wenn das Boot sich neigte, hielt er sich mit einer Hand an der Rückenstange, ohne den Blick von den Malereien abzuwenden. Schnell griff er in die Innentasche seiner Jacke und holte eine zusammengerollte Folie mit einem Blatt Papier hervor, auf dem fünf Bilder aufgedruckt waren. Die vermissten Mädchen und Patricia. Er legte die Folie neben sich auf die Bank und verglich sie mit jener Zeichnung, wo die Mädchen auf der Wiese saßen und mit den Puppen spielten.
»Unglaublich.« Er reichte mir die Folie und die Zeichnung.
Ich versuchte wie Hiller, mich mit einer Hand festzuhalten, was jedoch nicht funktionierte. Hiller deutete auf meine Füße. »Weit auseinander stellen. Stabile Dreipunktposition.« Ich befolgte seinen Rat und hatte tatsächlich einen verhältnismäßig sicheren Stand.
Hiller nickte zu den Fotos. »Als hätte man sie abgemalt. Wann ist Ihr Vater offiziell verbrannt?«
»Vor zwei Monaten.«
Hiller blickte zu Bob. »Dann kann er sie nicht von den Bildern in der Zeitung abgemalt haben, wie du geglaubt hast, Bob. Er hat sie tatsächlich vor den Entführungen gemalt.«
Ich verglich die Fotos mit den Mädchen auf der Zeichnung. Hiller hatte Recht. Mein Vater hatte mit wenigen Strichen die Gesichtszüge der Mädchen exakt getroffen. Eines der Fotos zeigte ein blondgelocktes Mädchen. Mir wurde bewusst, dass ich zum ersten Mal Patricia Whites intaktes Gesicht sah. Ja. Sie war es. Genau so hatte ich sie in meinen Visionen gesehen. Genau so hatte ich ihre hellen , blauen Augen in Erinnerung, ihren Mund, der, wenn sie lächelte, sich auf einer Seite ein Stück weiter nach oben zog. Genau so hatte ich die Nase in Erinnerung, die neben den Nasenflügeln, wann immer sie lachte, kleine , freche Falten schlug. Ich strich über das Foto und dachte an das Bild, das ich bei Hearing gesehen hatte. An das Feuer, das dieses Gesicht zu einer grausamen Fratze entstellt hatte. An den Mörder, der ihr das angetan hatte. An meinen Vater, dieses perverse Dreckschwein.
»Patricia?«, fragte Hiller, der vermutlich beobachtet hatte, wie ich ihr Foto anstarrte.
Ich nickte. »Ist das erste Mal, dass ich sie … so … sehe.«
»Ich verstehe. Ein süßer Fratz.«
»Er soll in der Hölle schmoren«, sagte ich mit einer Verbitterung, die mich beinahe selbst erschrak.
»Das wird er.« Hiller bemühte sich offensichtlich um einen beruhigenden Tonfall. »Wer immer das war, wird seine gerechte Strafe bekommen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Dafür gibt es keine gerechte Strafe. Dieses Schwein soll brennen. Wie die Mädchen. Genau so, wie er es in der Klinik vorgetäuscht hatte.« In dem Moment, als ich die Worte aussprach, sah ich ihn vor mir. Den brennenden Werwolf. Er brüllte, versuchte sich auf dem Boden zu wälzen, um die Flammen zu löschen. Doch jedes Mal, wenn die Flammen zu ersticken drohten, übergoss ich ihn erneut mit Petroleum und genoss die Schreie, den Gestank und die heiße Stichflamme, die ihn nach und nach verzehrte, bis mich nur noch eine lippenlose Fratze mit weit aufgerissenem Maul anstarrte und knöchrige, blutig schwarze Hände um Gnade flehend nach mir griffen.
Ja, Jack. Ich weiß, wie sehr es dir gefällt, deinen Eddy-Daddy brennen zu sehen.
Wie er so vor mir lag und beißender Gestank in meine Nase stieg, dachte ich, dass dieser Tod noch zu gnädig war. Man sollte ihn wiederbeleben, um ihn ein zweites und drittes Mal verbrennen zu können. Das Bild war derart detailliert in meinen Kopf, dass ich überzeugt war, Any hätte es geschickt. Wie all die anderen Bilder.
Hiller blickte mich fest an. Vielleicht kannte er meine Gedanken. Vielleicht überlegte er, dass es durchaus möglich wäre, die Klappe zu halten und Edward Reynolds durch Selbstjustiz hinrichten zu lassen. Offiziell war er tot. Verbrannt. So gesehen sorgte man nur dafür, dass alles seine Richtigkeit hatte.
Vielleicht fürchtete Hiller aber auch nur, dass ich mich durch irgendwelche hirnrissigen Aktionen unglücklich machen würde und ich es letztlich war, der vor Gericht wegen Mordes an meine m Vater verurteilt wurde, ohne dem Kindermörder ein Geständnis entlockt zu haben. Wahrscheinlich. Denn er sagte: »Ob gerecht oder nicht, Mister Reynolds. Unsere Aufgabe ist es, diesen Mörder aus dem Verkehr zu ziehen. B ei zwei Morden wird er das
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