Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
mein Mädchen auch nicht aufschneiden lassen. Ganz sicher nicht.«
Die Reaktion der Eltern spielte für Hiller keine Rolle. Nur die Tatsache eines persönlichen Kontaktes zwischen Edward Reynolds und den Mädchen zählte. Er hatte jede einzelne der Vermissten gesehen, hatte sie in der Nervenheilanstalt zeichnen können, und es existierte eine Option, dass er seinen Tod vorgetäuscht hatte. Schließlich hielt Doktor Overlook es für möglich, dass er aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung zu den Morden fähig gewesen wäre. Grund genug für Hiller, Edward Reynolds Leiche auf Hart Island exhumieren zu lassen.
Er informierte Hearing und teilte ihm mit, dass Jack Reynolds umgehend zur Hart Island Fähre kommen sollte. Aus zwei Gründen: Erstens sollte er die Zeichnungen mitbringen und zweitens – der eigentliche Grund – Hiller brauchte Jack Reynolds DNS, um die Verwandtschaft zu seinem Vater nachweisen zu können. Vor allem konnte Reynolds vor Ort seinen Vater identifizieren, sofern es noch etwas zu identifizieren gab. DNS-Analysen waren teuer und erforderten eine Unmenge an Rechtfertigungen. Vor allem, wenn sie jetzt und sofort durchgeführt werden mussten. In Anbetracht der Tatsache, dass aufgrund der beiden Morde akute Lebensgefahr für die restlichen drei Mädchen bestand, schien Hiller die Vorgangsweise jedoch angemessen und Agent Seal unterstützte sein Vorhaben. Nachdem Hiller im City Island Jail angerufen und alles für die Exhumierung angeordnet hatte, dachte er über eine Alternative nach. Was, wenn die Leiche auf Hart Island doch Edward Reynolds war? Für diesen Fall stand ein zweiter Name auf der Verdächtigenliste: Jack Reynolds .
Der Feuerwehrmann war in die Entführungen und Morde verwickelt. Hiller wusste zwar nicht auf welche Art und Weise, aber dass beide Mädchen bei Bränden gefunden wurden , bei denen er im Einsatz war, konnte kein Zufall sein. Entweder, jemand wollte ihm die Morde anhängen, oder er verschaffte sich mit dieser Vorgangsweise ein Alibi. Zugegebenermaßen eines der ausgeklügeltsten während Hillers fünfzehnjähriger Ermittlungsarbeit.
Der Brand, bei dem Patricia White nachweislich nicht im Haus gewesen war, konnte von ihm gelegt worden sein. Zeitzünder ließen sich entsprechend einstellen und so konnte er in der Feuerwache auf seinen Einsatz warten, während im Haus der Whites bereits die Flammen in den Wänden hoch brannten . Reynolds brauchte nur dafür zu sorgen, dass die Flammen sich über das Schlafzimmer der Mutter ausbreiteten, und zwar so, dass sie als Erste durch die Rauchgase das Bewusstsein verlor. Patricia könnte sehr wohl in ihrem Zimmer gewesen sein, als er sie gesucht hatte. Vielleicht hatte sie nicht einmal bemerkt, dass es brannte. Jack erwürgt sie und versteckt ihre Leiche unter dem Bett. Dann behauptet er, die Kleine nicht zu finden. Er schickt den zweiten Feuerwehrmann aus dem explosionsgefährdeten Haus und wartet, bis der Gastank hochgeht und das Gebäude zum Einsturz bringt. Er musste sich nur an einem bestimmten Ort im Haus aufhalten, nämlich im Eingangsbereich, um vor den Auswirkungen der Explosion so gut wie sicher zu sein. Nachdem er von seinem Captain nach Hause geschickt worden war, fährt er zum Haus und legt die verbrannte Leiche an jene Stelle, wo die Brandermittler sie am nächsten Tag finden würden. Den Vorwurf der Fahrlässigkeit konnte er schließlich von sich weisen, sobald er Hearing den Tipp geben würde, die Lungen des Mädchens zu untersuchen. Und schon hatte Jack Reynolds seinen Ruf wieder hergestellt und niemand kommt auf die Idee, er hätte etwas mit dem Mord zu tun. Niemand – außer Hiller.
Bevor er sich mit Bob zur Fähre nach Hart Island aufmachte, rief er Seal an und bat ihn, Erkundigungen über Jack Reynolds einzuholen. Das FBI sollte auch bei ihm in die Tiefe graben und feststellen, ob es irgendwelche Verbindungen zwischen ihm und den Mädchen gab. Seal versprach dem Detective erste Ergebnisse, sobald er von der Exhumierung zurückkam. Weiters teilte ihm der Agent mit, dass er dem DNS-Analytiker Conrad Behrens einen jungen Special-Agent zur Seite stellen würde. »Nur zur Sicherheit«, sagte Seal. »Und damit ein FBI-Mann vor Ort ist, falls sich bei den Nachforschungen über Jack Reynolds etwas ergibt.«
Jack Reynolds kam zur Fähre und brachte die Zeichnungen mit. Insgesamt sechs Stück. Fünf waren mit farbiger Ölkreide gemalt, die sechste mit einem Kohlestift. Die vermissten Mädchen waren darauf abgebildet.
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